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: Sympathische Schwester

Heute Abend wird die Leipziger Buchmesse mit der Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung an die kroatische Autorin Slavenka Drakulić eröffnet

Es war ein eigenartiger kleiner Skandal, den es da letztes Jahr bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse gab. Als die lettische Außenministerin Sandra Kalniete für eine europäische Erinnerungskultur warb, in der die Verbrechen der Nazis und der sowjetischen Kommunisten gleichrangig behandelt werden sollten, verließ der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, erbost die Eröffnungsfeier. Das Eigenartige an dem Skandal war, dass am selben Abend kaum jemand davon Notiz nahm, die anwesenden Berichterstatter der überregionalen Tagespresse erst anderntags von ihren Redaktionen informiert werden mussten und sich in Folge, als sich tatsächlich eine Kalniete-Korn-Debatte entspann, die ganze Angelegenheit nicht im Geringsten zur Leipziger Buchmesse in Beziehung gebracht wurde.

Leipzig und ein Skandal, diese Kombination gehört sich einfach nicht, Leipzig und Marktgeschrei, das geht nicht zusammen, und auch scheinen sich Leipzig und der beinharte Buchmarkt auf zwei verschiedenen Planeten zu befinden. Die Leipziger Buchmesse ist die kleine, sympathische Schwester der Frankfurter Buchmesse; sie ist gemütlicher Branchentreffpunkt, bei dem es eher am Rande um Geschäfte geht, und sie ist die Publikumsmesse, bei der Lesungen und Autoren im Mittelpunkt stehen.

Nichtsdestotrotz ist sie selbst ein großes Unternehmen, das auf Wachstum setzt und schwarze Zahlen schreiben will. So verkündete Buchmessen-Geschäftsführer Wolfgang Marzin dieser Tage, was Buchmessen-Geschäftsführer am liebsten verkünden, nämlich dass dieses Jahr wieder einmal die Zahl der Aussteller gewachsen sei und man wie 2004 mit 100.000 Besuchern rechne. Erstmals profitabel sei die Messe 2003 und 2004 gewesen, so Marzin, darauf hoffe er selbstredend dieses Jahr auch. Da macht es den Leipzigern nicht einmal etwas aus, dass die lit.cologne, das große Kölner Literaturfestival, ihnen Konkurrenz macht und dieses Jahr genau zur selben Zeit stattfindet. Das sieht man eher sportlich, zumal es für Verlage tatsächlich interessanter wird, mehr ausländische Autoren einzufliegen und bei gleich zwei Literaturevents zu präsentieren.

Weniger sportlich allerdings sah man in Leipzig die Abschaffung des Deutschen Bücherpreises durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, des beliebten Butts, dessen Verleihung drei Jahre lang mit einer an Peinlichkeiten reichen Gala vom MDR inszeniert und übertragen wurde. Denn der Börsenverein beschloss zwar, einen neuen Preis auszuloben, den Deutschen Buchpreis, verlegte dessen Verleihung aber nach Frankfurt. Flugs organisierte man in Leipzig einen neuen Preis, den Preis der Leipziger Buchmesse, der morgen Abend in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Essayistik vergeben wird. An dieser Reaktion lässt sich schön festmachen, dass natürlich auch die Leipziger Buchmesse Bedeutendes produzieren will und muss, sie ihren Glanz und ihre Highlights braucht, nicht nur Gemütlichkeit und Publikum.

Dazu gehört neben der Vergabe des Kurt-Wolff-Preises an den Kleinverlag des Jahres, der so mitunter zu einem Großen wird, auch die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung. Dieser geht dieses Jahr an die kroatische Autorin Slavenka Drakulić, die mehrere Romane über die Kriege in Jugoslawien geschrieben hat und sich in ihrem neuen Buch „Keiner war dabei“ mit dem Kriegsverbechertribunal in Den Haag befasst. Sie bekommt ihren Preis, der sonst am Sonntag vergeben wurde, schon heute Abend bei der Eröffnungsfeier im Gewandhaus verliehen – ein böser Schelm, wer denkt, diese Neuerung stünde im Zusammenhang mit dem Kalniete-Korn-Eklat aus dem vergangenen Jahr.

GERRIT BARTELS