Nelkenstummel mit Spargelkraut

betr.: „Psst! Mutti war die Beste“ von Barbara Bollwahn, taz vom 8. 3. 05

„Ich bin eine Ostfrau“. Statements dieser Art scheinen modern zu sein. Welche Aussage steckt dahinter? Warum gibt es nur bekennende Ostfrauen, aber keine Feststellungen dieser Art aus dem Westen?

Ich bin auch eine Frau aus dem Osten. Zumindest mal gewesen. Seit Mitte der 1990er lebte ich in den Niederlanden und jetzt wieder in Deutschland – West. Ich habe meine Kindheit, Jugend und eine Handvoll Erwachsenenjahre erst in der DDR und später in den neuen Bundesländern verbracht. Habe eine ähnliche Sozialisation wie die Autorin Barbara Bollwahn. Dinge wie Chancengleichheit für Jungen und Mädchen in Schule und Beruf, die Berufstätigkeit der Frau als selbstverständliche Tatsachen angesehen.

Erst Jahre später ging mir auf, dass auf der als tatkräftig gerühmten DDR-Frau und Mutter eine immense mehrfache Last lag. Wie kann es sein, dass der Vater mit dem Familienauto zur Arbeit fuhr – die Mutter hatte ja keinen Führerschein –, dafür aber die Mutter die Einkaufstaschen mit dem Bus (nach der Arbeit) nach Hause schleppte? Wie viel Väter kamen mit zur Klassenfahrt? Wer schmierte die Schulbrote? Wer wusch die Wäsche, machte die Hausaufgaben, schmiss den Haushalt? Zusätzlich zur Vollzeitberufstätigkeit.

Liebe Frau Bollwahn, genau diesen Alltag schildern Sie aus dem Leben Ihrer Mutter. In der Tat, ein Wahnsinnspensum. Wollen Sie denn so leben, sind Sie dazu bereit? Erinnern Sie sich noch daran, dass uns nach der Wende aufgefallen ist, wie gepflegt die Frauen aus dem Westen und wie fertig im Vergleich dazu unsere Mütter manchmal aussahen? Klar, Nostalgie macht Spaß und auch ich dachte am Frauentag mit einem Augenzwinkern an die spärlichen Nelkenstummel mit Spargelkraut, die den werktätigen Frauen am 8. März allerorten überreicht wurden, an Haushaltstage und den meist zur Rumpelkammer umfunktionierten Frauenruheraum. Ich gebe Ihnen Recht, die Frauen in der DDR hatten einen besseren Stand in der Arbeits- und Berufswelt. Sie verdienten selbst, hatten qualifizierte Berufe, konnten sich scheiden lassen, mussten nicht beim Alleinverdiener ausharren des Geldes wegen. Hatten das Recht auf ihren schwangeren oder eben gewollt nicht mehr schwangeren Bauch. Redeten nicht nur mit, sondern taten selbst den Mund auf. Alles gar keine Frage. Aber der Preis war hoch. Der Preis war, wie ein Mann zu kämpfen, als Frau ihren Mann zu stehen, die Zähne zusammenzubeißen, die Kinder frühmorgens abzugeben, auch wenn’s vielleicht wehtat, Härte zu zeigen, über eine Abtreibung oder Fehlgeburt nicht zu trauern, aushalten, weitermachen. Da hilft auch die nostalgische Verklärung nicht. Ich höre die Stimmen, die da laut werden: „Meinst du, wir hatten keinen Spaß, keine Freude an unserem Leben in der DDR? Sehr wohl hatten wir das. Wir haben eben alles unter einen Hut gebracht. Es ging uns von der Hand.“ Und das glaube ich auch. Die Frauen im Osten können mit Recht stolz darauf sein, was und wie sie das alles hingekriegt haben. Und wahrscheinlich leben Jungs und Mädels immer noch entspannter und gleichberechtigter im Osten miteinander als im Westen. Ist es selbstverständlicher, dass SIE arbeitet, auch wenn Kinder da sind. Gibt es mehr Frauen, die sich was trauen. Moment mal, ist das wirklich so? Ich kenne auch im Westen engagierte, kreative, ideenreiche starke Frauen. Könnte es sein, dass wir uns in Ost und West gar nicht so viel voneinander unterscheiden, wie wäre denn das?

Und damit wären wir bei dem Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, liebe Frau Bollwahn. Ich regte mich genau wie Sie über die meiner Meinung nach nur wegen der Worthülsen zeternden Frauen aus Deutschland West auf, die nur als AusweisinhaberInnen durch die Welt gehen wollten. Studenten durfte es nicht mehr geben, das unförmige Wort Studierende machte sich breit. Unverständnis auch bei mir, wofür kämpfen die da? Aber reicht dies alles aus, um die Frauenwelt an sich auf der anderen Seite der in die Köpfe verschwundenen Mauer mit einem bequemen und formelhaften „Schema F“ zu versehen?

Irgendwann landete ich, zurück in Deutschland (West) auf einer Lesung von Alice Schwarzer. Und war beeindruckt von ihrer Analyse und der Treffgenauigkeit ihrer Formulierungen. Ich abonnierte die Emma eine Zeit lang. Ich gestehe Ihnen, dass ich auch hin und wieder Brigitte lese. Inzwischen finde ich auch die Bezeichnung „Bürokaufmann“ für eine ganz offensichtlich weibliche Person, die dort am Schreibtisch sitzt, befremdlich.

Und wissen Sie, was mich traurig macht? Wenn ich mitkriege, dass Frauennetzwerke im Osten keinen Fuß auf den Boden kriegen. Dass Frauensolidarität ausgerechnet im Osten belächelt und abgewertet wird. Dass meinem Empfinden nach Frauen dort vielfach immer noch meinen, das Wichtigste sei es, Härte zu zeigen, anstatt mit mehr weiblichen Qualitäten, eben mehr Frau-Sein und nicht nur mit Leistung durchs Leben zu gehen. „Ein Junge weint nicht, ein Junge beißt sich auf die Zunge, auch wenn das Herz reißt“ (Gerhard Schöne). Galt und gilt das auch für die Mädchen und Frauen im Osten? Muss eine Frau immer noch in erster Linie ihren Mann stehen? Und traurig macht mich auch, dass die Frauen im Osten über 50, also die tüchtigen Supermuttis und Vollerwerbstätigen von früher, heute zu den absoluten Verlierern unserer modernen Welt gehören.

Also, wie wär’s, wenn Frauen aus Deutschland Ost und West einfach mehr miteinander reden, sich austauschen über ihre Leben damals und heute, statt sich gegenseitig monochrome Etiketten an die Stirn zu heften? KATRIN THIEM, Meppen