Wo’s poetisch zugeht

WOHLFÜHLMUSIK Die US-amerikanische Sängerin Regina Spektor tritt im ausverkauften Postbahnhof mit zu viel Gute-Laune-Musik mit Anspruch auf

Dass sie so gottesfürchtig ist, hätte man dann doch nicht gedacht. Sie wirkt zwar bieder mit ihrer leichten Fülle, dem mädchenhaften Kleid und der drolligen Wuschelfrisur, aber auch irgendwie cool und sympathisch; ganz die fleißige Studentin von nebenan, mit der man gern einmal ein paar Biere trinken geht. Ihre Texte, ihre subtilen Rap-Einlagen deuten sehr darauf hin, dass sie aus New York, USA, kommt – und falls die gebürtige Moskauerin jemals einen russischen Akzent gehabt haben sollte, hat sie den schnell zugunsten dieses schwer lässigen Kaugummienglischs eintauschen können. In diesem, sagen wir: Idiom versucht sie beflissen Alltagsgeschichten zu erzählen, Geschichten von nebenan, durchsetzt mit O-Tönen und kleinen Slang-Einsprengseln. Dazu begleitet sie sich munter auf dem Klavier, neuerdings auch live von zwei Violinisten und einem Schlagzeuger unterstützt.

Zweite Ebene

Das Problem an den von ihr erzählten Geschichten ist: Regina Spektor, Ende zwanzig, zieht gern eine zweite Ebene ein, eine abstrakte Bedeutungsebene wie aus dem Genre des bieder-erwachsenen Pop, wie von anderen Sängerinnen gelernt. Meist soll es auf dieser Ebene irgendwie poetisch zugehen („The most human colour is blue“), manchmal eben lebensweise, und wenn es mehr als banal sein soll, dann muss halt Gott her. Dabei sind Popstücke über Gott meistens doof. Nur John Lennon hat zu dieser Regel die Ausnahme geliefert.

Regina Spektor indes hat gleich zwei dieser Gotteslieder im Programm. Platziert hat sie sie in der Mitte ihres Sets, das im Wesentlichen aus der neuen Platte „Far“ und den größten Hits so far besteht. Das letztere der beiden Lieder heißt „Hallelujah“, das erste spart sich die Anrufung Gottes im Titel und heißt schlicht „Laughing With“. Die im Refrain erzählte Lüge geht so: „No-one laughs at God in a hospital, no-one laughs at God in a war.“ Das Gegenteil stimmt: In tödlichen Situationen wirkt keine Idee so absurd wie die eines unfassbaren, höhergestellten Wesens, das über den Lauf des Lebens wacht und bestimmt. Es gibt keine von Gott gelenkten Handgranaten und keine von Gott verstopften Arterien, und niemandem ist das so klar wie den konkreten Opfern.

Fürs Formatradio

Davon abgesehen, weiß Regina Spektor ihr Publikum zu überzeugen. Tatsächlich geraten die Leute im ausverkauften Postbahnhof schier aus dem Häuschen – an diesem Dienstagabend, unweit der Arena, in der die Trauerfeier für Michael Jackson übertragen wird, hat Regina Spektor Heimspiel. Nach jedem Stück brandet Jubel auf, die einfacheren Zeilen werden gern mitgesungen, die emotionalen Momente rühren an, die schnelleren auf. Von Letzteren gibt es zu wenig bei der aufstrebenden Popsängerin: Ihre Musik passt zu oft blendend in die Lücke zwischen dem Kommentar des Tages und den halbstündlichen Verkehrsnachrichten. Wohlfühlmusik fürs ernsthafte Formatradio. Gute-Laune-Musik mit Anspruch, der sich in der klassischen Instrumentierung festmacht: ein Klavier, ein Cello, ein Kontrabass und für den Beat ein Schlagzeug; dazu eine Frauenstimme, die gut singen kann und zwischen süß und verwegen pendelt.

Nur selten wagt Spektor den Ausbruch aus dem ewigen Humpta-Rhythmus und der von keinem Regenguss getrübten Laune. Nur selten lässt sie einen Impulsdurchbruch zu, einen Moment, der mehr ist als Narration und positiv gefärbte Oberfläche. „Machine“ heißt das beste Stück dieses Abends, mit guter Hookline und perfekter, von den beiden nach japanischen Musikstudenten aussehenden Streichern unterstützter Katharsis: „I live in the future in my pre-war apartment? I’m hooked into machine“. Mehr davon wäre es gewesen.

RENÉ HAMANN