: IM JAHR DES OCHSEN: STREIKEN MIT AI WEIWEI
VON CHRISTIAN Y. SCHMIDT
Ai Weiwei ist kein schlechter Mann. Seine Idee, auf die letzte Documenta 1.001 Chinesen zu bringen, war zwar keine Kunst, aber wahrscheinlich gerade deshalb die beste Documenta-Aktion seit … ach, was weiß ich.
Noch besser ist, dass sich Herr Ai inzwischen kaum mehr für Kunst zu interessieren scheint. Stattdessen versucht er, per Blog und Twitterei die chinesische Regierung zu ärgern. Das kann er sich leisten, denn er ist nicht nur eine Berühmtheit, sondern auch ein Mann mit einem Sack voll Geld, der einen Stab von Angestellten hat und in den Suburbs von Peking in einem großen Villenkomplex residiert.
Regierungen zu nerven ist selbstverständlich eine gute Sache. Wenn es die Regierungen auch nicht unbedingt stürzt, so macht es sie doch schlauer. Allerdings ließ Ais jüngste Nervidee doch zu wünschen übrig. Da rief er zu einem chinaweiten Internetstreik am 1. Juli auf. Ab diesem Stichtag, so hatte die Regierung angeordnet, sollten nämlich in ganz China nur noch Computer mit so genannter „Green Dam“-Porno- und Polit-Filtersoftware verkauft werden dürfen. „Aber“, so fragte ich den Meister, als ich ihn kurz vor dem avisierten Streik zusammen mit einem Pulk Journalisten besuchte, „ist denn diese ganze Filtersoftware nicht nur ein Witz?“ Schließlich wusste zu diesem Zeitpunkt bereits jeder zweite Chinese, dass das Programm nicht funktionierte, und es auch ohne Weiteres zu löschen war. Obendrein hatte sogar die staatliche Presse die Einführung des Filters massiv attackiert. „Wir dürfen“, so schrieb zum Beispiel die Zeitung China Daily, „der Green-Dam-Software nicht erlauben, unseren Weg in die Zukunft zu blockieren.“
Damit war der ominöse grüne Damm eigentlich schon vom Tisch, bevor ihn die Regierung dann am 30. Juni fürs Erste offiziell beerdigte. Doch obwohl das abzusehen war, wollte Herr Ai von seinem Internetstreik nicht lassen. Kein Mensch in China sollte am 1. Juli online gehen. „Aber wie wollen Sie“, bohrte ich weiter, „die Beteiligung am Streik überprüfen?“ Herr Ai verstand nicht ganz. Ich wiederholte: „Wie messen Sie denn den Streikerfolg?“ – „Der Erfolg ist doch schon eingetreten“, gab Ai Weiwei zurück. „Sofort nachdem ich die Streikidee gebloggt hatte, meldete sich die internationale Presse bei mir. Ich habe dann etliche Interviews gegeben.“
Das ist anscheinend eine ganz neue Form von Streik, die ich bislang noch nicht kannte. Je länger ich aber über sie nachdenke, desto besser gefällt sie mir. Vielleicht sollten wir einen solchen Ai-Weiwei-Streik auch in Deutschland mal probieren. Also: Hiermit fordere ich alle Leser auf, zwei Wochen lang in einen Zeitungslesestreik zu treten, bis das Merkel-Regime endlich nachgibt und … äh … den Palast der Republik abreißt … im September Wahlen anberaumt … und es schließlich den 23. Juli werden lässt.
Dann sollten Sie allerdings wieder lesen, weil die nächste Folge dieser Kolumne erscheint. Und damit ist für heute Schluss. Schließlich klingelt bei mir gleich das Telefon, und ich muss den internationalen Medien einen Haufen Interviews geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen