„Stimme wird uns genommen“

Der Duisburger Serhat Karakayali vom antirassistischem Netzwerk „kanak attak“ erklärt, warum nicht die Doppelstaatler das Problem sind, sondern das Staatsbürgerschaftsrecht

taz: In NRW sollen etwa 10.000 Türken und Türkinnen die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Was passiert jetzt mit denen?Serhat Karakayali: Ich weiß nicht, woher Schily und Behrens solche Zahlen haben, es gibt keine offiziellen. Deshalb schreiben sie jetzt alle Eingebürgerten vor der Landtagswahl an und verunsichern sie.

Aber tun sie nicht nur ihren Job, weil seit 2000 Mehrstaatigkeit per Gesetz verboten ist?

Genau dieses Gesetz ist das eigentliche Problem. Seit der CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wird Doppeltstaatlern ein so genannter Loyalitätskonflikt angehängt. Komischerweise taucht dieser immer nur im Zusammenhang mit Einwanderern aus islamischen Ländern auf. Wer die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, scheint mit sich im Reinen. Koch und Co. haben 2000 ihren Willen bekommen und sind daran schuld, dass Doppeltstaatler jetzt zu Illegalen erklärt werden.

Liegt das nicht vor allem daran, dass viele den Heimatpass vor 2000 wieder beantragt und erst später bekommen haben?

Das kommt ja noch dazu. Diese konnten zu dem Zeitpunkt nicht einmal ahnen, dass sie kriminell würden. Aber das Juristische ist gar nicht der Punkt. Diese Situtation zeigt einfach nur, wie absurd das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft ist, dass es völlig an der Lebensrealität der Menschen vorbei geht. Zehntausende von Rentnern möchten gerne das halbe Jahr in der Türkei leben und das halbe Jahr in Deutschland, mit beiden Pässen ist das einfacher. Ist das illegal, wenn sie nicht ihr ganzes Leben in Bottrop-Kirchellen eingesperrt sein wollen?

Und wie sollen sich jetzt die angeschriebenen WahlbürgerInnen Ihrer Meinung nach verhalten?

Ich kann jetzt kaum den Leuten raten, die Behördenanfragen zu ignorieren. Zumal ein Szenario durchaus denkbar ist, in dem die türkische Regierung für den Beitritt zur EU 50.000 Doppelstaatler „opfern“ würde. Aber ich finde schon, dass wir unsere Empörung auf die Straße tragen müssen, dass wir es nicht hinnehmen, dass man uns unsere lang erkämpfte Stimme wieder nimmt. Es ist eine erschreckende Erkenntnis: Egal was wir machen, wie lange wir hier leben, unser Aufenthalt bleibt immer prekär.

INTERVIEW:NATALIE WIESMANN