Verführung der Lämmer

Ambivalenz, die bleibt: Lesung zum Antikriegsfilm „Die Brücke“ im Ernst Deutsch Theater

von Tim Gallwitz

In diesen Tagen nimmt das öffentliche Vor-60-Jahren-Gedenken mit dem Kapitel Kriegsende erneut Fahrt auf. Mittenmang sind auch Ernst Deutsch Theater und Abaton-Kino als Gastgeber zweier Veranstaltungen, die einem der wichtigsten deutschen Beiträge zu den letzten Kriegstagen gewidmet sind: Dem Roman Die Brücke. Das 1958 von Gregor Dorfmeister unter dem Pseudonym Manfred Gregor veröffentlichte Werk war Vorlage für den gleichnamigen, aber ungleich bekannteren Film.

Dorfmeister überlebte als Einziger von sieben verblendeten 16-Jährigen die Verteidigung einer unbedeutenden Isarbrücke Ende April 1945 gegen die vorrückenden Amerikaner. Sein autobiographischer Roman ist bis heute in 24 Sprachen übersetzt und über eine Million Mal verkauft worden. 1959 wurde Bernhard Wicki, der Ende der 30er-Jahre als politischer Häftling im KZ Sachsenhausen eingesperrt war, die Regie für Die Brücke angeboten. Dem Schauspieler Wicki, der erst kurz zuvor als Regisseur debütiert hatte, gelingt es, die mit Tapferkeits- und Heldenpathos vebrämte Vorlage in einen realistischen Film über die Schrecken des Krieges zu übersetzen. Er verlagert den Akzent der Geschichte dahin gehend, dass der Tod der Jugendlichen nunmehr ein sinnloser ist. Allerdings vermag es Wicki nicht, die Ambivalenz des Stoffes konsequent zu brechen, wie die englische Filmkritikerin Brenda Davies bemerkte: „Die Haltung des Films ist von einer fatalen Zwiespältigkeit. Er scheint zu sagen, dass diese herrlichen jungen Menschen sinnlos geopfert wurden, nur weil ihre Sache schon verloren war. Wären sie also Helden, wenn sich das Schlachtenglück hätte wenden können?“

Die von unbekannten Nachwuchsschauspielern wie Volker Lechtenbrink, Fritz Wepper und Cordula Trantow verkörperten Teenager werden in dem Film knapp, aber präzise umrissen. Die Intensität ihrer Darstellung und das quälende Abbild des Krieges machen Die Brücke auch über 40 Jahre nach Entstehung noch zu einem beeindruckenden Leinwanderlebnis. Doch die Schwäche eines jeden Antikriegsfilms bleibt nun mal der Krieg, und so beobachtete die Zeitschrift Filmkritik, wie sich „manche Zuschauer an den Kampfszenen delektieren, die zweifellos im entgegengesetzten Sinne intendiert waren.“

Die Brücke wurde mit dem Golden Globe und einer Oscar-Nominierung ausgezeichnet und gehört heute zum Filmkanon von gut 30 für den Schulunterricht empfohlenen Filmen. Dies scheint durchaus im Sinne Wickis: „Mit der ,Brücke‘ wollte ich zeigen, dass diese Jungen, die Kinder waren, Kinder wie tausend andere auch, fähig gewesen wären, die schlimmsten Grausamkeiten zu begehen – nur durch eine falsche Erziehung.“

Diese Geste, eine mit Hurra-Patriotismus in den Krieg ziehende Jugend als verführt und fehlgeleitet zu zeigen, war für Die Brücke die einzige Chance auf Publikum in der Bundesrepublik der späten 50er-Jahre. In jenen Jahren, in denen Erhardt, Quinn und Wallace den Ton angaben, war der Krieg kurz nach der Wiederbewaffnung kein gern gesehener Gast im Lichtspieltheater. Das Militärische hatte allenfalls Platz als Kasernenklamotte oder Kriegsgefangenendrama. Denn noch galten die Deutschen sich selbst als die größten Opfer.

Selbstverständlich heben Roman und Film auch nicht auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Nationalsozialismus ab, dieser ist nur sehr untergründig spürbar. Entsprechend bleiben die Verbrechen an Juden, anders Denkenden und allen anderen Opfern des Nazi-Regimes – unerwähnt. Opfer sind hier wie so oft die Deutschen allein. Hier die verführten Kinder, da die machtlosen Eltern, dort Vorgesetzte unter Befehlsnotstand. Und ach, da in der Ecke steht er, der feige Einzeltäter, der korrupte und verworfene Ortsgruppenleiter, das schwarze Schaf der Gemeinde

Lesung: So, 19.3., 11 Uhr, Ernst Deutsch Theater. Filmpremiere: So, 17 Uhr, Abaton