Tear down this wall

Morgen verhandelt das Landgericht über die Mauerkreuze am Checkpoint Charlie. Vor Gericht hat die Installation kaum Chancen. Vier von fünf Experten fordern ihren Abriss

„Das Areal am Checkpoint Charlie zählt sicher zu den schillerndsten historischen Orten Berlins. Zu den Andenkenständen, den Wurstbuden und einem Verschlag mit dem ‚größten Besucherbuch der Welt‘ ist im Herbst eine Kunstinstallation gekommen, die aus einer Mauerattrappe und einem fingierten Gräberfeld aus 1.000 Holzkreuzen besteht. Gegen eine weitere bunt schillernde touristische Attraktion ist nichts einzuwenden. Doch die temporären Mauer- und Gräberfeldattrappen überformen den historischen Ort, der hauptsächlich durch den spektakulären Tod des Flüchtlings Peter Fechter und durch die Konfrontation russischer und amerikanischer Panzer bekannt geworden ist. Die Massierung der Grabkreuze wirkt eindrucksvoll, kann aber zum historischen Fehlschluss führen, hier habe ein Massensterben stattgefunden. Die Kunstinstallation ist unwahrhaftig. Sie ist abzulehnen, weil sie ihren Kunstcharakter verleugnet und beansprucht, Teil eines authentischen Ortes zu sein.

Wie sieht es aus mit ihrer künstlerischen Qualität? Das Kreuz ist als christliches Zeichen und Symbol des Todes eines der stärksten Zeichen überhaupt. Ein Feld aus mannshohen Kreuzen kann nur beeindrucken: Diese Inszenierung arbeitet mit stärkstem Theaterdonner. Die Kunstinstallation ist ebenso beeindruckend wie primitiv, sie will provozieren, emotionalisieren, auffallen um jeden Preis. Ich muss sagen, dass es mich erstaunt und fast schon ein wenig traurig stimmt, dass sich mein Kollege Christoph Stölzl, ein weit gereister und erfahrener Kunsthistoriker, dazu hergibt, dieses Objekt als Zeugnis einer ergreifenden Volkskunst und von vorbildlichem Bürgerengagement zu preisen. Offenbar trüben parteipolitische Interessen hier den Blick.“

Christian Saehrendt

Christian Saehrendt, geboren 1968, ist bildender Künstler, Kunstwissenschaftler und Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Der Stellungskrieg der Denkmäler“, Bonn 2004FOTO: PRIVAT

„Was eine Inszenierung des Stadtraums ist, verdeutlicht die Installation am Checkpoint Charlie. Sie ist der vorläufige Höhepunkt einer öffentlichen Theatralisierung von Geschichte. Sie bedient sich einer Bildsprache der Überwältigung. Die Masse schwarzer, überlebensgroßer Holzkreuze bildet ein spektakuläres Ornament – sensationelle Fotos garantiert. Der frühere Grenzübergang verwandelt sich in einen fiktiven Totenacker. Statt über die politische Bedeutung des Ortes und seine historischen Voraussetzungen aufzuklären, wird der Stadtraum zum dramatischen Erlebnispark des Kalten Krieges umgestaltet. Für diese vehemente Emotionalisierung von Geschichte bedurfte es also 15 Jahre seit dem Mauerfall.

Die einfache Botschaft des Totenackers zielt dabei nicht nur auf eine touristische und finanzielle Verwertung des historischen Standortes. Mit der Mauerinstallation soll auch vorgeführt werden, wer die „richtigen“ Autoren für Denkmäler sind: die Opferverbände und ihre selbst ernannten Vertreter. So ist die Mauerinstallation ein Gegendenkmal zu den Denkmälern und Denkzeichen, die in den 1990er-Jahren auf der Grundlage von künstlerischen Wettbewerben im Stadtraum, etwa vor dem Finanzministerium, entstanden sind. Diese künstlerischen Denkzeichen der 1990er-Jahre lassen sich nicht für politische oder touristische Inszenierungen instrumentalisieren. Sie sind sachlich und kritisch. Sie setzen auf den mündigen Bürger und verweigern sich einer autoritären Denkmalsdogmatik. Sie täuschen keine falsche Authentizität vor, sondern verstehen sich als eine zeitgenössische Setzung. So sind sie Ergebnisse einer demokratischen Wettbewerbskultur für Kunst im öffentlichen Raum. Das aber kann die Installation am Checkpoint Charlie von sich nicht behaupten.“

Martin Schönfeld

Martin Schönfeld (41) ist Kunstwissenschaftler. Er arbeitet im Büro für Kunst im öffentlichen Raum des berufsverbandes bildender künstler berlins FOTO: F. HAUFFE

„Checkpoint Charlie war einmal ein bedeutungsvoller Geschichtsort. Inzwischen ist er zu einer Hülse geworden, die hin und wieder medienwirksam neu gefüllt wird. Der eigentliche historische Kern droht zu verschwinden.

Auch das jüngste Kapitel weist in diese Richtung. Die sepulkrale Mauer-Installation am Checkpoint lässt zwar deutlich werden, dass die Zeit der Berliner Geschichtsabkehr 15 Jahre nach dem Mauerfall ein Ende finden muss. Gleichzeitig aber macht sich bei manchem Betrachter Verwirrung breit. Was ist das Ziel der Aktion: Handelt es sich um ein Kunstmal, das sich von historischer Genauigkeit loslösen darf und eher eine Frage der Ästhetik darstellt? Oder soll hier ein stimmiges Zeugnis der Geschichte präsentiert werden (ein angesichts der zahlreichen Sachfehler zweifelsohne gescheitertes Experiment)?

Fast könnte man vergessen, dass es hier um einen konkreten, wichtigen Ort unserer Geschichte geht, den wir nicht einfach dem Diktat persönlichen Geschmacks überlassen dürfen. Der ehemalige Grenzübergang Checkpoint Charlie ist ein wesentlicher, wenn nicht der Kulminationspunkt zur Geschichte der Alliierten in Berlin. Doch ausgerechnet zu diesem Kernthema finden wir keine Information vor Ort, auch kein Wort zu seiner Bedeutung im Gesamtmosaik der Berliner Mauer-Orte. (Das Museum „Haus am Checkpoint Charlie“ hat eine andere Sichtachse: Es blickt auf Fluchtgeschichten von DDR-Bürgern und auf Freiheitsbewegungen in der ganzen Welt.)

Checkpoint Charlie muss endlich aus diesem geschichtslosen Dunstkreis herausgeholt werden. Der Ort verdient eine Dokumentation, die sich seiner Geschichte widmet. Und die Öffentlichkeit auch.“

Gabriele Camphausen

Gabriele Camphausen, geboren 1957 in Bonn, ist seit 1998 Vorsitzende des Vereins „Berliner Mauer – Gedenkstätte und Dokumentationszentrum“, des Trägervereins des Mauermuseums an der Bernauer Straße FOTO: PRIVAT

„Beim öffentlichen Streit um die Mauerkreuze am Checkpoint Charlie fliegt im Für und Wider momentan einiges durcheinander. Es ist nach 1989 in Berlin nicht gelungen, eine würdige Gedenkstätte für die Opfer der Mauer zu errichten. An der Bernauer Straße entstand eine solide wissenschaftliche Dokumentationseinrichtung, bei der die Seite des Gedenkens jedoch zu kurz kommt und nur in einer umstrittenen Kompromisslösung vertreten ist. Es ist ebenso wenig gelungen, der Erinnerung an die Realität der Berliner Mauer als monströses Sperrwerk eindrucksvoll Gestalt zu geben. Eine dafür einzigartige Anlage, der weltweit bekannte Kontroll- und Übergangspunkt am Checkpoint Charlie, wurde Investoreninteressen geopfert und glatt planiert. Historische Rekonstruktion, Andenken und Gedenken können aber nicht beliebig gemischt und durcheinander geworfen werden. Der Checkpoint Charlie war der Ort weltgeschichtlicher Konfrontationen, gelungener und gescheiterter Fluchten, ein verschlungenes Labyrinth von Kontroll- und Abfertigungseinrichtungen. Er stellt heute eine Herausforderung für die räumliche Rekonstruktion dar.

Ihn durch die Mauerkreuze mit pseudoreligiöser Symbolik aufzuladen und zum zentralen Gedenkort umzufunktionieren muss danebengehen. Wenn hinter diesem Bemühen auch noch ein Trägerverein und eine geschäftstüchtige Witwe stehen, die Provokation und Skandalisierung zu ihrem Markenzeichen gemacht haben, ist Abwehr geboten. Die Gestaltung des Erinnerungsortes Checkpoint Charlie, der endgültige Platz und die würdige Form eines Gedenkortes an die Mauertoten sind zwei Aufgaben eines Gesamtkonzeptes zur Berliner Mauer. Bei dessen Realisierung dürfen sich die öffentliche Hand und die Berliner Politik nicht länger aus der Verantwortung stehlen.“

Wolfgang Templin

Wolfgang Templin (56) war DDR-Bürgerrechtler. 1994–96 war er Pressesprecher des Hauses am Checkpoint Charlie FOTO: ARCHIV

„Verkehrte Welt: Erst reißen Berlins Politiker im Überschwang der Gefühle die größte Sehenswürdigkeit der Stadt ab, sodass man ihre Reste mit der Lupe suchen muss. Dann verunstalten sie im abseits gelegenen Wedding eines der letzten Mauerstücke mit einer rostigen Stahlwand und erklären es zur Gedenkstätte, die keiner findet und niemand versteht. Schließlich legen sie zehn Jahre lang die Hände in den Schoß und weisen jede Initiative für ein besseres Mauergedenken mit dem Argument „Wir haben kein Geld“ zurück.

In dieser Situation hat die Chefin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie auf eigene Faust ein Denkmal für die Mauertoten errichtet – zentral, leicht verständlich und für den Steuerzahler kostenlos. Im Gegensatz zu vielen staatlichen Gedenkorten bestand es den Praxistest auf Anhieb. Selbst ein Tourist aus Japan begreift sofort, was die Mauer für Berlin bedeutete – wie sich jeder vor Ort überzeugen kann.

Statt Dank schlug Alexandra Hildebrandt jedoch nur Häme und Empörung entgegen. Die Zeitschrift Tip erklärte sie sogar zur peinlichsten Berlinerin. Nicht einmal der Hinweis von Berlins Tourismuschef, dass die Mauer bei Besuchern noch vor dem Brandenburger Tor rangiere, konnte daran etwas ändern. Dass die Opferverbände das Denkmal begrüßten, interessierte niemanden. Nun wird sie auch noch von einer Bank aus Hamm vor Gericht gezerrt, obwohl sie dieser ein Kaufangebot für das Grundstück unterbreitet hat. Niemand nimmt daran Anstoß.

Man mag über Details des einzig funktionierenden Mauerdenkmals in Berlin streiten: über die Zahl der Kreuze, die Farbe der Mauer oder das unzureichende Angebot an historischer Information. Doch niemand kam bisher auf die Idee, mit Frau Hildebrandt zu reden. Was spricht eigentlich dagegen, sie ins Rathaus einzuladen und den leidigen Streit friedlich zu beenden?“

Hubertus Knabe

Hubertus Knabe (45) leitet die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen FOTO: ARCHIV