Raus aus der heimatlichen Welthöhle

Die terrestristische Globalisierung ist also auch nicht mehr, was sie einst war: In seiner antigeschichtsphilosophischen Untersuchung „Im Weltinnenraum des Kapitals“ will Peter Sloterdijk Globalisierungskritikern erklären, was Sache ist

Ein Wunder wäre es gewesen, wenn sich der Medienphilosoph zum Modethema Globalisierung nicht geäußert hätte. Peter Sloterdijks Buch hat zwar mit der Globalisierung und ihren Folgen fast nichts zu tun, dafür um so mehr mit seiner eigenen dreibändigen Sphären-Trilogie, die Sloterdijk kürzlich abgeschlossen. In diesem immerhin auch mehr als 400-seitigen Seitenprodukt beschäftigt er sich nicht mit der Globalisierung, sondern mit der „philosophischen Herkunft des Globus-Motivs“. „Im Weltinnenraum des Kapitals“ – so der Titel des Globalisierungsbuchs – ist eine Kurzfassung der Sphären-Trilogie und ein Ort der Verwertung jener Reste, die keinen Platz in diesem Projekt hatten. Dieses Werk ist ein sektiererisches Gemurmel, das „das Philosophische“ mit dem „Erzählerischen“ zum Esoterischen zusammenrührt. Die Resteverwertung ist vor allem an den peinlichen Wiederholungen erkennbar, die das Lektorat dem Egomanen offensichtlich nicht ausreden konnte.

Zunächst kritisiert Sloterdijk jene Theorien als „provinziell“, die geschichtsphilosophische Spekulationen über den Gang der Geschichte im Allgemeinen enthalten wie zum Beispiel die Marx’sche Theorie. Sloterdijk bastelt sich eine dreistufiges Modell von kosmischer, terrestrischer und elektronischer Globalisierung. Die terrestrische Globalisierung datiert er auf die Zeit zwischen der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 und der Auflösung der Kolonialreiche nach 1945. Diese zeitliche Klammer ist nur ein biederes Hausmittel aus der Historikerapotheke des 19. Jahrhunderts und allemal ungeeignet, die 500 Jahre zusammenzuhalten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt Sloterdijks dritte Epoche, die das Ende der Geschichte einläutet. Demnach leben wir im Posthistoire, denn „nichts von dem, was sich verändert und sich bewegt, hat [...] noch die Qualität von ‚Geschichte‘ “. Gegenüber älteren Traktaten hat die Antigeschichtsphilosophie Sloterdijks nur den dubiosen Vorzug, dass sie mit der konkurrenzlos billigen geschichtsphilosophischen Vereinfachung des Endes arbeitet. Früher kannte nur Gott Anfang und Ende, heute weiß es schon die südwestdeutsche Lokalmetaphysik.

„Terrestrische Globalisierung“ meint die europäische Eroberung der Welt und die Entzauberung des Himmels vom Reich der Vorsehung Gottes zu jener des Zufalls. Sloterdijk bedauert in abgestandener Heidegger-Manier den Verlust des Gurus aus Karlsruhe. Sloterdijk bedauert den Verlust „häuslich-heimatlichen Welthöhle“, aber zugleich bewundert er spätnietzscheanisch die „informierte Aktionskraft“ der Entdecker und verharmlost den Landraub als „seemännisches Naturrecht“ und die Verbrechen des Kolonialismus als, so wörtlich, „Belästigung des Menschen durch den Menschen“.

Der seit 1492 laufenden Inbesitznahme der Welt – so Sloterdijk großspurig – könne man sich so wenig entziehen wie der Erdrotation. Globalisierungskritiker sind für ihn einfältige Ptolemäer.

Jenes Drittel der Menschheit, das sich im Posthistoire als Ungeborene – wie Sloterdijk sagt – im „Rundwerden der Mütter“ und als Geborene in der „großen Mutter Wohnung“ oder im „mobilisierten Nest“ Auto gemütlich einrichtet, lebt nach der Ferndiagnose Sloterdijks in Langeweile und Stress. Das Leben in der „Assekuranzzeit“ wird dominiert, von dem, was der quasi-verbeamtete Institutsdirektor Sloterdijk „sozialstaatliche Existenzenteignungssysteme“ nennt, die den Postmodernen ihre Heidegger’sche Eigentlichkeit im kuscheligen Lokalen und den „Direktbezug zum Absoluten“ rauben. Den zwei Dritteln außerhalb der Wohlstandsinseln lebenden Menschen hat der Philosoph so wenig zu sagen, wie er dazu beiträgt, dieses Gefälle analytisch auch nur zu ahnen. Kümmerlichen Ersatz dafür bieten die seichte Polemik gegen die Aufklärung, Spekulationen über „sphärologische Geheimnisse“ und Plattitüden über den „vollständigen Menschen“.

Das Buch liest sich wie eine vor dem laufenden Fernseher zusammengebackene Textkompilation. Kalauer – „souverän ist, wer selbst entscheidet, worauf er hereinfallen will“ – hat Sloterdijk ebenso im Sonderangebot wie geistreichelnde Kalendersprüche. Als Philosoph hat sich Sloterdijk abgemeldet, als Erzähler des ohnehin Bekannten ist er drittklassig und als Zeitdiagnostiker belanglos. RUDOLF WALTHER

Peter Sloterdijk: „Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, 415 Seiten, 24,80 €