Wo selbst Claudia Schiffer versagt

Ori Shwarzman geht nach Ghana, um als Arzt in einer Missionsstation zu helfen – naiv, ohne das Land zu kennen. Doch er lernt schnell dazu. Und: Trotz allen Leids und aller Schwierigkeiten liebt er das Land. Ein tragikomisches, spannendes und menschliches Buch, ganz ohne Ethnokitsch

Ori Shwarzmans Erzählweise erlaubt, in allem Elend das Komische zu sehen

VON RENÉE ZUCKER

Eine echte Frühlingsüberraschung. Zunächst weiß man gar nicht richtig, was es sein soll: Reisebericht, Autobiografie oder wieder so ein auf echt getrimmter Ethnoroman. Nach ein paar Seiten schon ist es einem egal, denn man ist gefangen. Gefangen in einer aufregenden Liebesgeschichte, die mehr erzählt als eine aufregende Liebesgeschichte. Ein Clash of Civilisations der ganz anderen Art.

Ein 20-jähriger Israeli beschließt nach seinem Armeedienst im Libanonkrieg, Arzt in Afrika zu werden, um etwas Sinnvolles zu tun. Und so beginnt die autobiografische Geschichte: Ein israelischer Arzt kommt nach Ghana und will dort in einer Missionsstation arbeiten. So idealistisch und naiv, wie vermutlich alle sind, die das erste Mal in Afrika landen, um zu helfen.

Ori Shwarzman vertut keine Zeit, um sofort klar zu machen, womit der Westler konfrontiert wird: „Dieselbe Kuh, die mich gestern empfangen hatte, lag immer noch auf dem Weg und atmete schwer. Zu meiner großen Überraschung drückte sich ein Kälbchen an ihren Bauch und suchte mit der Zunge verzweifelt nach einer Zitze. Ich hätte nicht gedacht, dass die Gebärmutter einer sterbenden Kuh ein lebendes Kalb hervorbringen kann. Der Schmerz, den ich beim Anblick des Neugeborenen empfand, das unbedingt Milch aus dem verdorrten Euter saugen wollte, sollte mich im kommenden Jahr des Öfteren und im verschärften Maß immer dann heimsuchen, wenn ich ein vom Fruchtwasser noch feuchtes Baby behutsam auf den Bauch seiner sterbenden Mutter bettete“.

Die Wahrheit über den hungernden Kontinent Afrika wird einem nicht erspart – ebenso wenig wie die Faszination, die der Israeli in der Konfrontation mit einer Kultur empfindet, die nichts mehr mit dem zu tun hat, was er gelernt hat. Aber er lernt um. Wie man etwa mit hübschen schwarzen Nonnen in einer Krankenstation arbeitet, in der gebrauchte Wegwerfhandschuhe zum Trocknen aufgehängt oder wegen diverser Löcher übereinander angezogen werden, in der es kein fließendes Wasser gibt, kein richtiges Licht, kein Beatmungsgerät – und man beim Spritzen des Betäubungsmittels betet, dass es die richtige Menge sein möge.

Shwarzmans Erzählweise erlaubt, in allem Elend auch das Komische zu sehen, in der Grausamkeit die Notwendigkeit zum Überleben zu erkennen.

Als er einen der unzähligen Söhne des reichsten Mannes im Dorf rettet, schenkt der ihm eine seiner Schweinehirtinnen, eine siebzehnjährige Schönheit, Akuja – das Mondmädchen. „Sie wurde mir völlig natürlich präsentiert, eine Dankesgabe wie ein gefesseltes Huhn, gebratene Bananen oder ein Laib frisches Brot, die ich in Anerkennung meiner ärztlichen Dienste erhielt.“

Der Obroni, wie der fremde weiße Arzt genannt wird, zieht zur eigenen Rettung aus seinem Rucksack eine alte Times-Ausgabe mit einer Titelgeschichte über Claudia Schiffer. Das ist meine Frau, sagt er, ich darf keine andere haben. Aber auch das deutsche Model schützt den Fremden nicht vor Einhaltung der Dorfsitten. Er muss Akuja nehmen. Wenn der Wind dir eine Gabe bringt, beschwere sie mit einem Stein – heißt es dort, sonst kommt großes Unglück über alle.

Und somit beginnt jene traurig-schöne und aufregende Liebesgeschichte mit der klugen Akuja, die dem ungeschickten Weißen die Lehren einer anderen Welt beibringt, die ihn vor Mord und Bannsprüchen schützt, aber selbst keinen Schutz vor der Malaria findet.

Neben dieser Liebesgeschichte gibt es noch die Geschichte einer Liebe zu Afrika, der Veränderung eines Individuums in der Fremde, seine Verzweiflung und Isolation angesichts des Nichtverstehens und der Unlösbarkeit von Armut, Aberglauben, Prostitution, Tradition und Krankheiten.

Ori Shwarzman hat ein tragikomisches, ein spannendes und erotisches und ein zutiefst menschliches Buch geschrieben, von dem man möchte, dass es gar nicht mehr aufhört.

Ori Shwarzman: „Mondscheinmädchen. Meine Zeit in Afrika“. Aus dem Hebräischen von Helene Seidler. Malik, München 2005, 256 Seiten, 18,90 €