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: Wer die Zeitenwende ahnt, weiß noch nicht, wohin die Reise geht

Die aktuelle deutsche Literatur wirkt unentschlossen – genauso wie die für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Romane

Nimmt man einmal die Produktion dieses Frühjahrs zum Maßstab und übt sich ein wenig in Kaffeesatzleserei, dann scheint die deutsche Gegenwartsliteratur wieder an einem Punkt angelangt zu sein, an dem sie Anfang, Mitte der Neunzigerjahre schon stand, kurz bevor die Popliteratur ihren Siegeszug antrat und einige Jahre wild und schnell draufloserzählt wurde. Es herrschen ein Kater nach dem Ende dieser Ära und viel Unsicherheit ob des sicheren Bewusstseins einer Zeitenwende, von der aber niemand weiß, wohin die Reise genau geht; es gibt viel Zaghaftigkeit, wenig Mut, viel Grau in Grau, viel Tristesse. Ein großer Wilhelm Genazino, ein grundguter Andreas Maier, ein paar solide Romane etwa von Rainer Merkel, Marc Höpfner und Martina Hefter, und das war es fast schon. Der Rest besteht aus entweder echten Enttäuschungen, den Tellkamps, Wildenhains, Scholzens oder Duves etwa, oder jüngeren, in der Regel in Leipzig Literatur und Schreiben studierenden Frauen, die über reiche oder leichte Mädchen schreiben, vor allem aber über schwierige, heftigst postpubertierende Mädchen.

Ins Bild dieses nicht berühmten Jahrgangs und der kraftlosen deutschen Gegenwartsliteratur passt ausgerechnet ein Wettbewerb, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, einige wenige vorgeblich sehr gute und „anspruchsvolle“ (Preis-Waschzettel) deutschsprachige Romane der Saison länger im Gespräch zu halten und diese einem größeren Publikum nahe zu bringen: der Preis der Leipziger Buchmesse, der über einen kleinen Umweg der Nachfolger des unseligen Butt ist (siehe taz von gestern) und heute verliehen wird.

Man staunte nicht schlecht, als vor ein paar Wochen eine namhafte Jury aus Literaturkritikern die fünf Autoren und Autorinnen und ihre Bücher nannte, die ins Rennen um den Belletristik-Preis gehen. Christoph Hein mit „In seiner frühen Kindheit ein Garten“, der wohl einer der schwächsten Romane Heins ist. Fraglich darüber hinaus, ob ein so etablierter Schriftsteller noch so einen frisch herbeikonstruierten Preis braucht. Oder nicht dieser Preis dem ersten Renommee halber einen Namen wie den von Hein unbedingt braucht. Dann Uwe Tellkamp mit „Der Eisvogel“: Tellkamp hat zwar einen guten Namen nach seinem viel umjubelten Klagenfurt-Auftritt, doch nach der Lektüre von „Der Eisvogel“ dürfte man ihm guten Gewissens vorerst keinen Preis mehr geben, so verschmockt, manieriert und aufgepumpt ist dieser Roman. Dann Eva Menasse mit ihrem Debüt „Vienna“. Dieses hat gute Ansätze, weiß viele interessant-farbige Geschichten einer jüdisch-österreichischen Familie zu erzählen, weist aber Schwächen in der Konstruktion auf und wird im Übrigen, wenn es sich zeitlich der Gegenwart nähert, immer zäher und blasser. Ein Debüt, das eher zeigt, um wie viel schwächer andere Debüts dieses Frühjahrs sind.

Schließlich Terézia Mora mit ihrem Roman „Alle Tage“, der wirklich ein großer ist, nur den beziehungsreichen Haken hat, aus dem vergangenen Herbst zu stammen, und ein Problem dieses Preises zeigt: Im Frühjahr lässt sich die Produktion eines Jahres tatsächlich nur schwer absehen. Und schließlich Karl-Heinz Ott mit seinem Duell- und Bildungsroman „Endlich Stille“, einer der wirklichen Überraschungen dieses Frühjahrs und auch dieser Nominierungsliste: Genau davon hätte man sich noch vier andere gewünscht! So aber macht diese Auswahl genau denselben Eindruck wie die aktuelle deutsche Gegenwartsliteratur: unsicher darüber, was man will, mutlos, unentschlossen zwischen bekannten Namen und Literaturbetriebs-Hypes changierend. GERRIT BARTELS