„Einige Klötze am Bein“

Heute wird sich Bertelsmann bei der Bekanntgabe seiner Jahresbilanz kräftig auf die Schulter klopfen. Doch eigentlich gibt es nichts zu feiern, sagt Bertelsmann-Experte Frank Böckelmann

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Böckelmann, heute wird Bertelsmann wieder einmal ein Rekordergebnis feiern. Wie gut steht Deutschlands größter Medienkonzern denn wirklich da?

Frank Böckelmann: Bertelsmann hat ein, zwei Zugpferde, aber auch einige Klötze am Bein. Gut laufen die RTL-Sender und der Druck- und Dienstleistungsbereich namens Arvato. Aber der Konzern hat nichts, was seine Geschäftsbereiche zusammenhält – außer dem Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen. Bertelsmann ist und bleibt ein nobler Gemischtwarenladen

Sie klingen ja so, als machten Sie sich richtig Sorgen!

Ich gebe zu: Das System Bertelsmann mit seiner Doppelbödigkeit als Konzern und Stiftung, mit seiner Allgegenwärtigkeit, seiner neoliberalen Ausrichtung und seinem ethischen Zuckerguss gefällt mir nicht. Aber es wäre doch schön, wenn sich zwischen die US-Medienkonzerne, die den globalen Markt beherrschen, auch ein europäisches Unternehmen drängeln würde.

So richtig gut läuft es ja bei RTL in Deutschland auch nicht: Maue Aussichten bei der Werbung, die Marktführerschaft ist weg, der neue Chef auch.

Die einzige Orientierung bei der gesamten RTL-Group war und ist die Rendite und der Ausbau der Senderfamilien in Europa. Daher rührt diese Konzeptionslosigkeit, dieser fatale Notstand, immer auf mehreren Baustellen Feuerwehr zu spielen. Das rächt sich jetzt: Eine durchdachte, innovative Programmkonzeption, fehlt. Sie ist aber keine edle kulturelle Zugabe, sondern eben auch ein ökonomischer Faktor. Denn RTL ist die tragende Säule von Bertelsmann. Die anderen Säulen sind morsch oder stehen nur noch mit unbestimmter Verweildauer herum.

Wie zum Beispiel die Direct Group mit ihren Buchclubs?

Bei der wird seit Jahren der Turn-Around angekündigt, aber es wird ihn nie geben. Durch den Club ist Bertelsmann groß geworden, Man versucht jetzt, das Geschäft durch internationale Expansion, zum Beispiel nach China, fortzuführen. Aber dabei tun sich viele andere Risiken auf. Der Club bleibt eine Belastung.

Dafür wird doch bei der Bertelsmann Music Group (BMG) nach der Allianz mit Sony jetzt alles gut.

Wirklich? Nach der Fusion hängt der Erfolg dieses neuen Musikriesen doch vor allem von Sony ab. Die haben das Sagen. In Gütersloh glaubt ohnehin keiner mehr so richtig ans Musikgeschäft.

Glaubt denn wenigstens noch jemand ans Buchgeschäft?

Bertelsmanns Verlags-Holding Random House ist auf Gedeih und Verderb zur Bestsellerei verdammt, schon wegen der Billig-Konkurrenz. Das laugt aus und verschleißt die eigenen Potenziale. Die Renditen auf dem Buchmarkt bleiben aber trotz vieler Fusionen spärlich und sinken weiter. Bertelsmann wird das vormals jüdische Random House allerdings aus Imagegründen so lange wie möglich halten.

Gibt’s denn nichts Positives?

Doch: Gruner + Jahr, der Hamburger Zeitschriftenverlag, hat sich erholt. Das liegt am wieder anziehenden Anzeigengeschäft in Westeuropa – weniger in Deutschland. Doch G + J steht immer noch unter Rendite-Bewährung, weil die Ausflüge nach Osteuropa und in den Tageszeitungsmarkt ziemlich deprimierend verlaufen sind.

Bleibt also Arvato.

Arvato entwickelt sich gut. Aber dieser Konzernbereich ist so unorganisch wie die ganze Bertelsmann AG: Druckereien neben Logistik-Firmen, die Handys zustellen, neben anrüchigem Adressenhandel zu Werbezwecken. Arvato wickelt sogar das komplette Finanzmanagement für den öffentlichen Dienst einiger britischer Gemeinden ab. Insider sagen den Zerfall von Arvato voraus.

Klingt nach einem nüchternen Gesamtfazit zur Zukunft von Bertelsmann.

Der Konzern hat keine klare Linie und keinen Zukunftshorizont – außen hui, innen pfui.