Karlsruhe prüft präventives Abhören

Die Verfassungsrichter beraten über das neue niedersächsische Polizeigesetz, das Telefonüberwachung ohne konkreten Verdacht erlaubt. In dem Verfahren zeichnet sich eine Niederlage der Hannoveraner CDU-FDP-Regierung ab

KARLSRUHE taz ■ Wieder so ein Gesetz, das alle beunruhigt, aber kaum praktische Bedeutung hat. Gestern verhandelte das Bundesverfassungsgericht über eine neue Bestimmung des niedersächsischen Polizeigesetzes, die das „vorsorgliche“ Abhören von Telefonen erlaubt.

Geklagt hat ein honoriger Mann, der Oldenburger Oberlandesrichter Robert Suermann. Er wollte zeigen, wie uferlos das seit Dezember 2003 geltende Gesetz formuliert ist. Theoretisch könne auch er abgehört werden, glaubt der Jurist, weil er privat ab und zu in die Kneipe „Bei Beppo“ gehe, wo eine Lenin-Büste steht und auch Linksradikale verkehren.

Das fand der Hannoveraner Innen-Staatssekretär Roland Koller jedoch abwegig. „Es geht nicht um die Telefone von jedermann, sondern um einschlägiges Verhalten im Vorfeld von Straftaten.“ Sein Beispiel: „Wenn ein vorbestrafter Einbrecher beginnt, Wohnungen auszukundschaften, dann ist das noch nicht strafbar, aber die Polizei sollte doch wachsam sein.“

Konkret darf die Polizei im Land von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) dann das Telefon abhören, elektronische Mails lesen und Handydaten zur Ortung benutzen. Anders als bei der von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geplanten Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten, über die Anfang dieser Woche kontrovers diskutiert wurde, geht es hier also um den Inhalt der Kommunikation und nicht nur um das „Wer mit wem“.

Bisher durfte die Polizei Telefone nur zur Strafverfolgung abhören. In Niedersachsen ist dies nun auch zur Abwehr konkreter Gefahren möglich, was auch Richter Suermann akzeptiert. Außerdem – und darauf bezieht sich die Klage – darf gelauscht werden, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird“. Sogar harmlose Kontakt- und Begleitpersonen dürfen dann abgehört werden. Ein vergleichbares Gesetz existierte zuvor nur in Thüringen. Nachziehen wollen Bayern und Hamburg.

Staatssekretär Koller musste allerdings einräumen, dass die umstrittene neue Bestimmung im ersten Jahr nur zwei Mal angewandt wurde, jeweils in Fällen mit islamistischem Hintergrund und jeweils ohne konkretes Ergebnis. Dennoch sei das neue Recht „sinnvoll und erforderlich“, so Koller.

Wie sich in der gestrigen Verhandlung abzeichnete, wird Niedersachsen den Prozess in Karlsruhe verlieren. Fast alle Richter, sogar die Erzkonservative Evelyn Haas, stellten kritische Fragen. Das Gericht wird also zumindest eine Präzisierung und Einengung der neuen Befugnisse fordern. Möglicherweise wird die Bestimmung über das vorsorgliche Abhören sogar ganz gestrichen. Denn nach Ansicht der Bundesregierung hat Niedersachsen hier seine Kompetenzen überschritten, so Schilys Staatsekretärin Ute Vogt (SPD), und durfte ein derartiges Gesetz gar nicht erlassen.

Wenn die Verfassungsrichter dem folgen, hätte das Auswirkungen weit über den vorliegenden Fall hinaus. Denn schon seit Jahren sehen die Polizeigesetze in Niedersachsen und anderen Ländern ähnliche Vorschriften für verdeckte Ermittler und langfristige Videoüberwachungen vor.

Eine derartige Niederlage wäre vor allem für die Landesregierungen peinlich, denn diese verabschieden gerne scharfe Polizeigesetze. Die Polizei selbst wäre weniger betroffen, da die Strafprozessordnung – ein Bundesgesetz – heute schon das Abhören im Vorfeld von vielen Straftaten erlaubt. Bei kriminellen und terroristischen Vereinigungen, aber auch bei Drogen- und Menschenhandel ist das sogar die Regel.

Das Karlsruher Urteil soll in einigen Monaten verkündet werden. CHRISTIAN RATH