Ein neues Parlament in Bagdad

Sechs Wochen nach den Wahlen ringen die Abgeordneten um die Regierungsbildung

KAIRO taz ■ Während die internationalen Medien gestern breit über den angekündigten Abzug der italienischen Truppen aus dem Irak berichteten, lag der Fokus im Lande selbst auf der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments. Die 275 Abgeordneten gerieten buchstäblich unter Beschuss, als sie im Sitzungssaal in der schwer bewachten grünen Zone im Zentrum Bagdads vereidigt werden sollten. Die Fenster begannen zu zittern und Sirenen waren zu hören, nachdem mehrere Mörsergranaten in der Nähe explodierten.

Die Sitzung war zeremonieller Natur, da es sechs Wochen nach den irakischen Wahlen, bei denen Menschen ihr Leben riskierten, immer noch keine Einigung darüber gibt, wer die neue Regierung stellt und wie deren Programm aussehen soll. Die Koalitionsverhandlungen zwischen den Wahlsiegern, der schiitischen „Vereinigten Irakischen Allianz“, die mit 140 Abgeordneten vertreten ist, und der „Demokratischen Allianz Kurdistans“, die 75 Sitze innehat, haben bisher zu keinem Ergebnis geführt.

„Die Iraker müssen sich noch etwas in Geduld üben, es wird noch ein paar Tage dauern, bis wir uns einigen können“, erklärte der bisherige kurdische Außenminister Hoschiar Zubari. Der Teufel liege im Detail, meinte Ali al-Dabagh, ein Mitglied der schiitischen Allianz. Das Parlament hätte sich mit einer Zweidrittelmehrheit auf einen Präsidenten einigen sollen, der dann den Premierminister bestimmt.

Theoretisch haben sich beide Allianzen bereits darauf geeinigt, dass der Schiit Ibrahim al-Dschaafari Ministerpräsident werden soll, während Kurdenführer Dschalal Talabani das eher zeremonielle Präsidentenamt übernehmen soll. Doch es sind die politischen Inhalte, an denen die kurdisch-schiitische Verbindung bisher gescheitert ist. Die Kurden wollen ihre historische Chance als Zünglein an der Waage für die Gestaltung der Politik des Landes nutzen.

Einer der Streitpunkte ist die Zukunft der nordirakischen Stadt Kirkuk. Die Stadt mit ursprünglich kurdischer Bevölkerung war in den letzten Jahrzehnten unter Saddam Hussein arabisiert worden. Heute leben dort Araber, Kurden und Turkmenen. Die Kurden beanspruchen die Stadt in einem zukünftigen föderalistischen Irak für sich. Dabei geht es nicht zuletzt um die großen Ölvorkommen dort. Diskutiert wird auch die Frage, welcher Anteil der Öleinnahmen am Ende in das Budget der kurdischen autonomen Gebiete fließen soll.

Offen ist auch die Frage, was mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern geschehen soll. Irakische Araber wollen, dass die kurdischen Truppen aufgelöst und in den gesamtirakischen Sicherheitsapparat integriert werden. Die Kurden ihrerseits fordern Garantien, dass schiitische Hardliner den Irak nicht in einen islamischen Staat umwandeln.

Unstimmigkeiten existieren auch über die Form des Koalitionsabkommens. „Die Kurden wollen alles genau aufgeschrieben und unterzeichnet haben, während die Schiiten das Ganze lieber vager halten möchten“, beschreibt der unabhängige kurdische Politiker Mahmud Osman die Blockade.

Unklar ist weiterhin, wie die Sunniten an der zukünftigen Regierung beteiligt sein sollen. Es besteht aber Einigkeit, dass die Sunniten, die die Wahlen weitgehend boykottiert hatten, doch mit ins neue politische System integriert werden sollen. Damit soll die militante Guerilla, die sich meist aus sunnitischen Anhängern rekrutiert, isoliert werden. An den bisherigen Verhandlungen waren der ehemalige sunnitische Interimapräsident Ghasi al-Jawar, der sunnitische Politiker Adnan Patschatschi sowie die Islamische Partei beteiligt. KARIM EL-GAWHARY