schurians runde welten
: Weltmeisterschaft Piri-Piri

„Wir haben auch das Talent, uns selbst in Frage zu stellen.“ (Franz Beckenbauer)

Vor dem Urlaub habe ich meine letzte Chance genutzt, steuerte die Bestellseite der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft an und klickte auf den Hinweiser, der mich zur Ticketbestellung führte. Dort beantwortete ich Fragen nach meinem Alter, der Personalausweisnummer und versuchte ein Team spezifisches Ticket zu buchen: Gehöre ich in einem Jahr zu den Glückspilzen unter den Millionen Mitbuchern, könnte ich meine Lieblingsmannschaft bis ins Finale begleiten. Sollte sich mein Team also für die WM qualifizieren, die Vorrunde und die Finalrunden überstehen und auch noch das Endspiel bestreiten, würde mich die Heimat-‚Mondiali‘ insgesamt 700 Euro kosten. War mir aber egal. Mit 700 Euro endlich wieder Weltmeister zu werden, schien mir nicht zu teuer. Kurzum: Ich hatte Vorsicht über Bord geworfen – die Bedenken des Datenschutzes, die Angst vor RFID-Chips, vor der Big-Brother-WM, der Fußballisierung. Der Kaufrausch hatte mich im Griff.

Mich überfällt der Zahlzwang immer, wenn ich am Abend zuvor mehr als zwei Bier getrunken habe. Dann kann ich Verlockungen wie frankophonen CDs, elektronischen Spielzeugen oder hässlichen Turnschuhen nicht widerstehen. Eine Form der Katharsis: Je höher der Preis, je überflüssiger das Produkt, desto geläuterter fühle ich mich nach dem Gang zur Kasse. Manchmal habe ich Glück und es reicht bereits eine Dose mit Sardellen-Piri-Piri, um die mentalen Reinigungsrituale zu beenden. Bei der Ticketbestellung waren es die Allgemeinen Ticket-Geschäftsbedingungen (ATG).

Im Konsumzwang wollte ich sie schon wegklicken, dann warf ich einen Blick auf die insgesamt 28 Gebote und begann zu zweifeln, ob ich bei dieser WM überhaupt erwünscht bin. Denn unter Punkt 6 der ATG ist es nur bei einer vorherigen „schriftlichen Zustimmung“ des WM-Organisationskomitee (OK) gestattet, „Beschreibungen und Resultate der Veranstaltung aufzunehmen oder diese ganz oder teilweise über Internet oder andere Medien (einschließlich Mobilfunk) zu übertragen oder zu verbreiten“.

Nochmal: Ich muss folglich einen Brief an das OK schreiben, wenn ich mich später in einer Kolumne etwa über einen eleganten Fußtritt von Nesta äußern möchte. Ohne OK-Zustimmung darf ich mich gegenüber Kollegen nicht mit detaillierten Spielbeschreibungen hervor tun. Und sollte jemand neben mir im Stadion SMS in ein Handy fingern, müsste ich nach dem Sicherheitspersonal rufen – was ebenfalls zu weit geht, aber auch seine guten Seiten hätte. Genauso wie die 28 Geschäftsbedingungen: Sie haben mich vor einem 1.400 Mark teuren Irrsinn bewahrt.CHRISTOPH SCHURIAN