Die mageren Jahre sind vorbei

Die Stahlarbeiter wollen mehr Geld. Beschäftigungssicherung ist bei den seit gestern laufenden Tarifverhandlungen nur Randthema. Jugendvertreter und Volkswirte stört das nicht

VON KLAUS JANSEN

„Unbedingt muss an der Lohnschraube gedreht werden“, findet Steffen Lehndorff. 6,5 Prozent mehr Gehalt, wie es die IG Metall in der gestern begonnenen Tarifrunde für die Stahlindustrie in NRW, Niedersachsen und Bremen gefordert hat, ist für den Volkswirt vom Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik das richtige Zeichen angesichts der Massenarbeitslosigkeit. „Auch wenn im aktuellen politischen Klima unfein geworden ist, über Lohnerhöhungen zu reden: Das ist absolut notwendig“, sagt Lehndorff.

Was gestern im Gelsenkirchener Maritim-Hotel startete, ist eine klassische Lohn-Tarifrunde in Boomzeiten. Dank der nicht endenden Nachfrage aus China freut sich die Stahlindustrie über Absatz wie nie, Branchenführer ThyssenKrupp hat im vergangenen Quartal seinen Gewinn von 168 Millionen auf 473 Millionen Euro fast verdreifacht. „Wir müssen wieder einen Zusammenhang zwischen Gewinnen und Löhnen herstellen“, sagt deshalb Nordrhein-Westfalens IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Die Arbeitgeber hingegen bezeichnen die Gewerkschaftsforderung als „extrem überhöht“ und gehen ohne eigenes Angebot in die Verhandlungen. Der Boom im Stahlgeschäft könne schnell vorbei sein, schließlich rüste China mit eignen Anlagen nach, bremst Volker Becher, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl. So sei im Februar erstmals seit Monaten die Stahlproduktion im Vergleich zum Vormonat gesunken, um 1,4 Prozent. „Keine Sonderkonjunktur dauert ewig“, so Becher zur taz.

Die Metaller hoffen trotzdem weiter auf eine kräftige Lohnerhöhung – und stellen die Frage über Beschäftigungsgarantien zunächst hinten an. „Wir reden über Zukunftssicherung und Innovationsanstrengungen, aber wir müssen nicht unbedingt in dieser Runde zu einem Ergebnis kommen“, sagt Gewerkschaftschef Wetzel.

Dass die IG Metall erst später mit den Arbeitgebern über Themen wie Jobgarantien oder die Übernahme von Auszubildenden sprechen will, wird von den Betroffenen offenbar akzeptiert. „Wir fühlen uns beteiligt“, sagt Marc Brunsch, Jugendvertreter im Betriebsrat von ThyssenKrupp Stahl. Wichtig sei der Lohn: Die Firmen machten eben „Gewinne ohne Ende“, also müsse es mehr Geld geben.

Zurückhaltung, wie von der Wirtschaft, dem Bundespräsidenten, und der CDU gefordert wird, ist auch für den Volkswirten Lehndorff nicht angebracht. „Man kann nicht immer Beschäftigungssicherung gegen Lohn ausspielen“, sagt er. Fälle wie der Kompromiss in der Handy-Sparte von Siemens beweisen seiner Ansicht nach die kurze Halbwertzeit solcher Regelungen. „Gesamtwirtschaftlich geht das ohnehin nach hinten los“, sagt Lehndorff. Denn Deutschland sei innerhalb der Europäischen Union schon jetzt ein Lohnnbremser. „Das größte Problem ist und bleibt die Binnennachfrage.“