Vergrätzt vom Kanzler

In der SPD fühlte er sich nicht mehr am rechten Platz: Nach 60 Jahren tritt der Alt-Linke Peter von Oertzen aus

An manchen Tagen kommt’s ganz dicke für die SPD: „Um öffentliche Treueerklärungen für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände abzugeben, bin ich 1946 nicht in die SPD eingetreten“, begründete gestern der prominente SPD-Linke Peter von Oertzen seinen Austritt aus der Partei. Nach fast 60 Jahren Mitgliedschaft in der SPD ist von Oertzen jetzt Mitglied der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Noch im vergangenen September hatte ihn SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter zum 80. Geburtstag als Vordenker und Querdenker, der „die Geschichte der SPD mitgeschrieben“ habe, gewürdigt. Er sei und bleibe Sozialist und daher „in der SPD nicht mehr am rechten linken Platz“, sagte von Oertzen hingegen zur Nachrichtenagentur AP. Gerd Brandes von der Wahlalternative freute sich, „dass eine so honorige Persönlichkeit wie Peter von Oertzen beigetreten ist“.

Dem SPD-Parteivorstand gehörte von Oertzen von 1973 bis 1993 an, leitete dort die Programmkommission, gründete das Wissenschaftsforum der SPD, baute die Parteischule neu auf und war ihr Leiter. Von 1970 bis 1974 war er niedersächsischer Kultusminister und bis 1983 zudem Vorsitzender des mitgliederstarken SPD-Bezirks Hannover. Sein Nachfolger als Bezirkschef wurde der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder. 1963 war der Politologe von Oertzen als Professor an die Technische Universität Hannover berufen worden. Zuvor hatte er an der Universität Göttingen promoviert und sich dort nach Geschichts-, Philosophie- und Soziologie-Studium habilitiert.

Im Augenblick gebe es keine Partei, „die mehr die Auffassungen des großen Kapitals als die SPD vertritt“, ärgert sich der Kanzler-vergrätzte von Oertzen. Die Partei glaube, dass der Kapitalismus eine gute und humane Gesellschaftsordnung sei, Gerhard Schröder verlange aber „die Übernahme der Inhalte des Bundesverbandes der Industrie“. taz