Die Qual der Wahl

Viermal verweigerte ein Abgeordneter gestern Heide Simonis die Treue und enthielt sich bei der Wahl zum Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins der Stimme. Die Entscheidung wurde vertagt

„Es wäre komisch, wenn ich nicht nervös wäre“, sagte Klaus Müller von den Grünen kurz vor der Abstimmung über den Posten des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein. „So abgebrüht soll man nicht sein, aber ich bin sicher, dass alles glatt gehen wird.“ Schließlich war doch alles in trockenen Tüchern. Über drei Wochen hatten SPD und Grüne mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) verhandelt und sich auf eine rot-grüne Regierung geeinigt, die vom SSW toleriert wird. Dessen Spitzenfrau Anke Spoorendonk sagte vor der Wahl ebenfalls: „Wir rechnen mit einem Sieg für Simonis.“ Was konnte da noch schief gehen? Alles.

Dabei fing es so gut an am gestrigen Vormittag im Kieler Landtag. Der CDU-Mann Peter Harry Carstensen saß zum ersten Mal auf dem Platz des Oppositionsführers rechts vom Podium des Präsidenten – durch die FDP-Abgeordneten von den Regierungsbänken getrennt. Die leer waren und blieben an diesem Tag.

Heide Simonis dagegen sollte laut Belegungsliste einen Platz am Rande der SPD-Fraktion bekommen, ein Zeichen dafür, dass sie fest damit rechnete, nach einer flotten Wahl auf ihren alten Sessel, den der Ministerpräsidentin, zurückkehren zu können. „Wir werden noch sehen, wer auf welchen Stuhl kommt“, sagte Carstensen vergnügt vor der Wahl. Ahnte er schon etwas? Wusste er gar, dass ein Mitglied der SPD-Fraktion Heide Simonis in den Rücken fallen würde. „Ich sage meinen Leuten immer: ’Wir lassen uns die Fröhlichkeit nicht verbieten’ “, so Carstensen.

Gestern hatten die Abgeordneten von CDU und FDP zur Fröhlichkeit auch allen Grund. Die Qual der Wahl begann um 13.30 Uhr. Sie zog sich den ganzen Nachmittag hin. Heide Simonis, die mit verschränkten Armen und schmalen Lippen dasaß, hörte immer wieder das vernichtende Ergebnis. 34 Stimmen für Carstensen, 34 für sie selbst, eine Enthaltung. „Warum tut sie sich das an?“ fragte Karsten Jasper, frisch in den Landtag eingezogener CDU-Abgeordneter. Er war nicht der Einzige. Diese Frage stellten sich gestern viele.

Zur abschließenden Landtagssitzung erschien Simonis gestern Abend nicht mehr. Dort wurde verkündet, dass der nächste Wahlgang auf die nächste Sitzung am 27. April verschoben wird. Vermutlich wird es davor eine Sondersitzung geben. Beide Vorschläge – Carstensen und Simonis – sollen zunächst aufrecht erhalten werden, aber ob letztere wirklich noch einmal antreten wird, ist unklar.

Carstensen verließ den Landtag gestern so vergnügt, wie er gekommen war. Er ließ sich fotografieren und feiern und setzt ganz offensichtlich darauf, dass er bei einem 5. Wahlgang zum neuen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins gewählt wird. Allerdings einer ohne feste Mehrheit. Er müsste dann mit der SPD Verhandlungen aufnehmen darüber, ob die Genossen – ohne Heide Simonis – zu einer großen Koalition bereit sind. Dazu die Grüne Spitzenfrau Anne Lütkes: „Wir erwarten, dass die SPD zuerst mit uns spricht.“