Ein nicht ganz normaler Zeuge

Wüppesahl-Prozess: Vernehmung des Kronzeugen nach zwei Stunden vom Gericht abgebrochen. Die „prozessuale Abhängigkeit“ soll geklärt und die Innenbehörde zur Offenlegung der „Geheimhaltungsverpflichtung“ veranlasst werden

Von Kai von Appen

Was hat das dem Innenstaatsrat unterstellte „Dezernat Interne Ermittlungen“ (DIE) im Komplex Thomas Wüppesahl zu verbergen? Welche Rolle spielt der so genannte Kronzeuge, Andreas Sch.? In welcher Abhängigkeit befindet sich der vom DIE als „Lockspitzel“ eingesetzte Sch.? Und zu welchem Zeitpunkt wurde Sch. – Ex-Kollege und Freund des Kritischen Polizisten Wüppesahl – als V-Mann angeheuert, um dessen vermeintliche Raubmordpläne aufzudecken? Fragen, die die Vernehmung des Kronzeugen gestern nach nur zwei Stunden zum Platzen brachte. Das Schwurgericht vertagte sich überraschend und verlangt nun vom DIE und der Innenbehörde Antworten.

Dabei hatte die Zeugenaussage Sch.‘s ruhig begonnen. So leise, dass viele dessen stockenden, wortkargen Ausführungen akustisch kaum folgen konnten. Sch. ist die Anspannung, der psychische Duck anzumerken, er hat rote Flecken hinter dem Ohr. Er schildert, wie er am 29. September 2004 auf der Terrasse von Wüppesahls Geesthachter Haus in die Raubüberfallpläne eingeweiht worden sei: „Er ist unvermittelt ganz konkret in einen Monolog verfallen und hat die Geschichte wie eine Räuberpistole erzählt.“ Sch. schildert weiter, dass er sich nach einer Nacht des Grübelns dem Ex-Kollegen Holger J., den er von den „Kritischen Polizisten“ kannte, am 1. Oktober anvertraut habe, dass er daraufhin am Nachmittag vom Landeskriminalamt (LKA) vernommen worden sei und dass er sich am 11. Oktober nochmals mit Wüppesahl getroffen habe.

Doch als der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, Gerhard Schaberg, wissen will, was zwischendurch passiert sei, wann er nach der LKA-Vernehmung wieder Kontakt mit der Polizei gehabt habe, gerät Sch. aus der Fassung. Hektisch greift er zur Akte seiner neben ihm sitzenden Anwältin Sabine Singer. Wüppesahls Verteidiger Uwe Maeffert interveniert, verlangt eine „losgelöst von jedem Papier und der Akte gemachte freie Aussage“. Als Schaberg beschwichtigt, es handele sich nur um die Aussagegenehmigung, ist die Katze aus dem Sack: Auf Maefferts Frage nach der „Geheimhaltungsverpflichtung“ fährt lautstark Oberstaatsanwalt Peter Stechmann aus der Haut – Tumult ensteht, was Schaberg veranlasst, mehrfach mit Faust auf den Richtertisch zu hauen und laut „Ruhe!“ zu schreien.

Für Wüppesahls Anwälte ist der Disput keine Show-Einlage, sondern ein „wesentlicher Punkt einer effektiven Verteidigung“, wie es Anwalt Peter Wulf später in einem Antrag formuliert. Da Sch. „kein Polizeibeamter mehr ist, ist er ein normaler Zeuge“, als solcher brauche er von der Behörde auch keine „Aussagegenehmigung“, es sei denn, es gebe eine „Geheimhaltungsverpflichtung“. Wulf: „Die Verteidigung hat das Recht zu wissen, was für eine prozessuale Abhängigkeit zwischen dem Zeugen und dem Dezernat Interne Ermittlungen besteht.“ Oberstaatsanwalt Stechmann muss daraufhin in einer „dienstlichen Erklärung“ einräumen, dass es eine solche Verpflichtung gebe, die „ich selber auch nicht kenne“. Er versucht den Vorgang herunterzuspielen, in dem er Spekulationen äußert, die dem Gericht allerdings nicht genügen.

Für die Verteidigung ist von ganz besonderer Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt und wie Sch. auf seine Spitzel-Tätigkeit vorbereitet worden ist. Und wann die „Geheimhaltungsverpflichtung“ und zu welchen Bedingungen sie geschlossen worden ist. Fragen, die am 4. April beantwortet werden sollen.

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