Zu flach gezielt

Mit „Zerbombt“ von Sarah Kane beginnt die Schaubühne ihr Festival F.I.N.D. Leider. Denn es ist die schwächste Inszenierung im Rahmen ihres Sarah-Kane-Programms

Man weiß, was einen erwartet. Wappnet sich für den Schrecken einer Inszenierung von Sarah Kanes „Zerbombt“ wie für den Besuch eines preisgekrönten Dokumentarfilms über einen Völkermord. Kane ist keine Unbekannte mehr und dass die Grausamkeit in ihren Stücken sich ebenso sehr vom Misslingen der Liebe speist wie vom Schrecken über die Gewaltfähigkeit des Menschen, der immer irgendwo auf dieser Welt gerade zum Folterer und Mörder wird, gehört zu den besterforschten Themen der jüngsten Theatergeschichte. Die Haltung, in der man dieser Autorin begegnet, hat sich im Zeitraffertempo verändert: So schnell wurde sie von einer Neuentdeckung zum eingemeindeten Klassiker. Sie hat die Maßstäbe dessen verändert, was man im Theater aushalten muss.

„Zerbombt“ in der neuen Inszenierung von Thomas Ostermeier hält diesen Maßstäben nicht mehr stand. Man sitzt in dem Stück und bittet innerlich um Gnade, nicht alles sehen zu müssen. Wie die Hölle erster Ordnung, der Sadismus in der Beziehung, von der Hölle zweiter Ordnung, einem Bild des Krieges in Permanenz, eingeholt wird. Wie Ian, ein Zyniker, Rassist und Kettenraucher mit nur noch einem Lungenflügel, einen Akt lang Cate, die Stotternde, mit seinem Schwanz bedrängt. Wie der Soldat des zweiten Aktes Ian die Augen aussaugt. Cates dauernde Ohnmachten, der Sturz ins Schwarze, scheinen die einzige angemessene Reaktion.

Das Schlimme aber ist: Mehr als vor dem Stück fürchtet man sich vor der Inszenierung. Dabei markiert Ostermeier diesmal gar nicht den starken Mann, der uns jetzt aus therapeutischen Gründen leider diese hässlichen Bilder zumuten muss, sondern bleibt einigermaßen im Rahmen des dezenten Kammerspiels. Das Gröbste erledigen akustische Special Effects. Doch nirgendwo öffnet sich der Gedankenraum so weit, dass die philosophische Dimension des Textes, Kanes verzweifeltes Ringen mit der Unmenschlichkeit des Menschen, durchscheinen würde. Stattdessen verkleinert sich das Spiel auf eine unerträgliche Geschichte.

Schon wenn man die Stücke von Sarah Kane nur liest, ist ihre Kraft der Erschütterung größer. Aber auch die anderen Inszenierungen der Schaubühne, die jetzt das ganze Werk der Autorin im Programm hat, werden ihr gerechter. Vor allem die letzten Stücke „Gier“, ebenfalls von Ostermeier inszeniert, und „4.48 Psychose“ in der Regie von Falk Richter, zeigen sich den Ungeheuerlichkeiten in der Sprache durch formal sehr karge, fast minimalistische Spielformen gewachsen. Da werden die Aufführungen zu einem fein eingestellten Sensorium, das die Detonationen der Gewalt in den kurzen Sätzen umso präziser überträgt. Vor allem wird dort greifbarer, welche Sehnsucht die Autorin bewegte und warum sie sich diesen abgebrühten Blick antat: den Teufel zu küssen, um Gott zu hören – aber Gott spricht nie.

Schade, dass nun ausgerechnet die schwächste Kane-Inszenierung der Schaubühne ihr Festival internationaler neuer Dramatik (F.I.N.D.) eröffnet. Denn so kommt die ursprünglich gute Idee, aus dem Eintreten für Kanes Werk eine Verbindung zum gegenwärtigen Programm zu ziehen, nicht zum Tragen. Mit F.I.N.D. hat sich die Schaubühne eine effiziente Suchmaschine nach neuen Stoffen und neuen Protagonisten für das Theater geschaffen, mit der diesmal Autoren aus Singapur, Buenos Aires, China, Japan und Kanada vorgestellt werden. Auch die Form des Festivals, mit fünf bis acht Stücken in szenischen Lesungen täglich, gleicht einer Entschlackungskur: Man schaut auf Ideen und hält sich mit Formen nicht auf. KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 20. März, Schaubühne, Programm: www.schaubuehne.de. Sarah-Kane-Symposium am Samstag 10–16 Uhr