■ Reaktionen zum Talat-Pascha-Gedenken
: Historische Aufarbeitung

betr.: „Türken trauern um Osmanen“, „Türken und Armenier. Eine offene Debatte ist nötig“, Kommentar von Cem Sey, taz vom 14. 3. 05

Was treibt nur die „konservativen Türken“ Berlins, sich mit Politikern zu identifizieren, die im eigenen Heimatland für staatlich geplanten und organisierten Massenmord an Minderheiten, in diesem Fall an Armeniern und Griechen, zum Tode verurteilt wurden?

Mehmet Ali Talaat war als damaliger Innenminister für die Todesmärsche und Massaker unmittelbar verantwortlich, denen nach Schätzung der deutschen Botschaft Konstantinopel vom 4. Oktober 1916 anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen, von 2,5 Millionen im Jahr 1914. Am 5. Juli 1919 verurteilte ein osmanisch-türkischer Militär-Sondergerichtshof in Konstantinopel Talaat dafür zum Tode.

Talaat war freilich zu diesem Zeitpunkt, ebenso wie andere hochrangige Vertreter des jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt“, bereits ins Ausland geflüchtet und hatte, mit Wissen und Billigung deutscher Behörden, in Berlin-Charlottenburg Unterschlupf gefunden. Auslieferungsanträge der türkischen Regierung lehnte der damalige deutsche Außenminister Dr. Solf unter anderem mit Hinweis auf die „Bündnistreue“ Talaats im Ersten Weltkrieg ab – Deutschland verhinderte auf diese Weise ein türkisches „Nürnberg“.

Es ist heuchlerisch, wenn türkische Sprecher den Anschein erwecken, als habe es in 90 Jahren seit dem Genozid an den armenischen Bürgern des Osmanischen Reiches keine wissenschaftliche, politische und juristische Aufarbeitung dieses Staatsverbrechens gegeben. Es ist weiterhin heuchlerisch, wenn sie den Anschein erwecken, als sprächen sie in dieser Sache für alle TürkInnen. Zum Glück ist dem nicht so. Der türkische Nationalismus hat sein Deutungsmonopol verloren.

Aber es kann in demokratischen Gesellschaften nicht hingenommen werden, dass solche Sprecher öffentlich ihre Sympathie mit Staatsverbrechern im Range eines Himmlers bekunden und uns über leicht nachprüfbare historische Tatsachen hinters Licht zu führen versuchen. TESSA HOFMANN, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anerkennung Gegen Genozid, für Völkerverständigung e. V

Es ist schon erstaunlich, wie ein Blatt, das aus einem linken, emanzipatorischen Kontext heraus gegründet wurde, heute der Genozidrelativierung beziehungsweise -leugnung ein Forum bietet.

Wenn Herr Sey in seinem „Kommentar“ von „hunderttausenden ermordeten muslimischen Zivilisten“ 1915 und „mordenden armenischen Banden“ spricht, dann ist das nicht nur eine absurde Geschichtsfälschung, sondern auch ein Instrument, um die türkischen Taten abzuschwächen, da dadurch das Bild entsteht, es hätten zwei Völker oder Länder gegeneinander Krieg geführt, in dem es auf beiden Seiten tragischerweise viele Opfer gab. Genau wie diese perfide Erklärung türkischer Verbände Berlins es ja deklariert, die hier genauso unkommentiert abgedruckt wird wie die Forderung nach historischer Aufarbeitung von der Türkischen Gemeinde Berlin, der Herr Sey hätte entgegensetzen müssen, dass dies längst getan wurde und dutzende Parlamente weltweit, darunter UNO und EU, dies auch als Genozid anerkannt haben. Das ist dasselbe, als würden Nazis eine historische Aufarbeitung des Holocausts fordern und dies würde unkritisch als bloße Nachricht verbreitet werden.

Aus dieser Causa nun auch noch ein türkisches Opfermärchen zu kreieren, wonach Berliner Türken deshalb nun in der öffentlichen Meinung am Pranger stehen würden, ist absolut heuchlerisch. Diejenigen, die den Genozid beim Namen nennen, kriegen nicht mehr nur in der Türkei, in der es unter Strafe steht (siehe jüngstes Beispiel Orhan Pamuk), sondern auch in anderen Ländern den Druck türkischer Behörden und Vereine zu spüren, wie diverse Beispiele zeigen (Lepsius-Haus in Potsdam, Brandenburger Schulbuchaffäre, Streichung des Genozidstücks „beast on the moon“ von türkischen Kulturtagen in Karlsruhe, Abziehen des türkischen Botschafters aus Frankreich etc.).

Dem Ganzen wird ja noch mit der Behauptung, von türkischer Seite wäre man doch gesprächsbereit, die Krone aufgesetzt. Das Opfer soll sich also mal nicht so haben, wenn der Täter schon die Hand ausstreckt. Sollen vielleicht die Armenier am Ende noch die Türken um Verzeihung bitten, dass sie sich von ihnen haben abschlachten lassen?! HENRI GRIGORJAN

Man stelle sich das vor: Mitten in Berlin marschieren die Unbelehrbaren auf und trauern um Heinrich Himmler, oder sie legen einen Kranz nieder für Adolf Eichmann. Unvorstellbar? Vorstellbar! Türkische Organisationen in Berlin, von denen wir nur hoffen wollen, dass sie nicht wirklich die Mehrheit repräsentieren, machen sich stark für das Gedenken an Mehmet Ali Talaat, besser bekannt als Talaat Pascha. Das ist der Mann, der für den Völkermord an den Armeniern verantwortlich zeichnete. Das ist der Mann, der vor genau 90 Jahren anderthalb Millionen Menschen hat abschlachten oder in die Wüste treiben lassen.

Wirrköpfe, die einen solchen Mann heute ehren wollen? Wohl kaum – sie stehen in der Tradition türkischer Staatsräson und hängen offensichtlich am Gängelband der türkischen Auslandsvertretungen, die sich nicht scheuen, deutsche Bundestagsabgeordnete zu beleidigen, weil die sich endlich des Völkermords an den Armeniern annehmen wollen. Die Völkermordlüge ist die offizielle Politik Ankaras, die der türkische Botschafter in Berlin ohne Wenn und Aber zu vertreten hat. Dieses Land will in die EU. Es würde zweifellos die europäische Wertegemeinschaft sprengen. Tatsächlich gibt es nur einen gangbaren Weg der Türkei nach Europa: Den öffentlichen Diskurs über diesen Schandfleck türkischer Geschichte in der Türkei selbst zu eröffnen und endlich den schmerzhaften soziokulturellen Prozess der historischen Aufarbeitung zu beginnen.

Wird die Türkei diese Kraft aufbringen? Nichts spricht zur Zeit dafür. Merkwürdig übrigens, dass der deutsche Außenminister den türkischen Botschafter wegen seiner beleidigenden Äußerungen über deutsche Parlamentarier nicht zum Rapport einbestellt hat.

JOCHEN MANGELSEN, Bremen

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