Die Bewegung des Auges

POSTMINIMALISMUS Manches ist fast unsichtbar: Dennoch steckt in der Kunst von Armando Andrade Tudela in der DAAD-Galerie die Erfahrung des Transfers der Moderne zwischen Lateinamerika und Europa

Die Erweiterung historischer Konzepte ist bezeichnend für Andrade Tudelas Kunst

VON EVA-CHRISTINA MEIER

Seit 2001 lebt der 1975 in Lima geborene Künstler Armando Andrade Tudela an verschiedenen Orten Europas. Das vergangene Jahr verbrachte er als Gast des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin. In „Torcida“ (span. verdreht), seiner Ausstellung in der Berliner DAAD-Galerie, präsentiert Andrade Tudela Objekte aus Glas und MDF, Rattan und Metall. Zusammen mit einigen Collagen bilden diese eine strenge räumliche Anordnung, in der alles Überflüssige verschwunden zu sein scheint. Trotz ihrer sachlichen Ausstrahlung besitzen die Objekte etwas erfreulich Heiteres.

„In Peru gibt es einen Exzess des Narrativen“, sagt Andrade Tudela. „Das hat auch mit der katholischen Kultur des Landes zu tun – mit ihrer Liebe zur Allegorie und Ikonografie – alles bedeutet etwas, jedes Bild steht für etwas.“ Er versuche hingegen, „das Erzählerische so weit wie möglich aus den Arbeiten herauszunehmen beziehungsweise in eine abstraktere Form zu übertragen.“ Vier mit Rattan bespannte Wandobjekte „Untitled (Rattan 1–4)“ ließ er in der Berliner Blindenwerkstatt in der Oranienstraße herstellen. Deren eng geflochtenes Muster und die beiden übereinanderliegenden Ebenen bringen das Auge des Betrachters in Bewegung. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung knüpft an die Tradition der Op-Art der Sechzigerjahre an, die in Lateinamerika durch die Venezolaner Carlos Cruz-Diez oder Jesús Rafael Soto vertretenen war. Durch die Verwendung eines im Grunde alltäglichen Materials und der Überführung kunsthandwerklicher Technik in postminimalistischer Kunst wird das historische Konzept der optischen Kunst auf eigenwillige Weise erweitert. Ein Vorgehen, das bezeichnend für Andrade Tudelas künstlerische Praxis ist.

Der zweite Blick

Die in der Mitte des Ausstellungsraums platzierten, fast unsichtbaren Objekte aus leicht gebogenen und rechtwinklig geknickten Glasscheiben skizzieren mit wenigen Linien einen Raum. In ihren Umrissen folgen sie nahtlos der Fläche, auf der sie stehen, um dann in einem Punkt über sie hinauszuschießen.

Phänomene der Moderne, Architektur oder Design und ihre Verschiebung in andere kulturelle Kontexte in Europa und Lateinamerika sind Gegenstand der Objekte, Fotografien und Zeichnungen von Andrade Tudela. In „Camion“, einer Diaprojektion von 2004, zeigte er Fotografien von Lastwagen unterwegs auf den peruanischen Landstraßen. Die Lkws sind mit Firmenlogos versehen, die erst auf den zweiten Blick als handgemalte Zeichnungen mit erstaunlicher Nähe zur abstrakten Malerei zu erkennen sind. Seine Biografie ermöglicht es Andrade Tudela, relativ selbstverständlich „fremde“ Inhalte und Techniken aufzugreifen und zu modifizieren.

Peru in der Diaspora

Ähnlich einer ganzen Reihe international anerkannter Künstler aus Peru wie zum Beispiel Fernando Bryce oder David Zink Yi führte auch Armando Andrade Tudelas Weg zuvor durch die europäischen Kunstakademien. Nach seinem Abschluss an der Pontificia Universidad Católica in Lima studierte er am Royal College of Arts in London und an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht. 2008/2009 folgten Einzelausstellungen in der Kunsthalle Basel, im Frankfurter Kunstverein und in der Ikon Gallery in Birmingham. Doch wie die anderen in der „Diaspora“ lebenden Künstler bleibt Andrade Tudela mit der lokalen Kunstszene in Lima verbunden.

2002 gründete er von London aus gemeinsam mit dem Kunstkritiker und Kurator Rodrigo Quijano und Künstlern in Lima das Kollektiv „La Culpable“ (span. die Schuldige). Nach Jahren kultureller Isolation unter der Regierung Fujimori und in einem Moment neuer sozialer Bewegung hielt die kulturelle Krise an. „La Culpable“ entsteht in einer Situation ohne Museen oder Kulturinstitutionen als Raum für Diskussionen und Künstlergespräche. Gerade auch im Austausch mit jenen Peruanern wie Andrade Tudela, die dauerhaft auf Reisen sind.

■ Armando Andrade Tudela, DAAD-Galerie, Zimmerstr. 90/91, Mo.–Sa. 11 bis 18 Uhr, bis 29. August