Meister der Selbstfesselung

Schröder, der Anti-Houdini der deutschen Politik, brachte sich wieder mal in eine aussichtslose Situation. Darin steckt er nach dem Job-Gipfel immer noch

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Harry Houdini war ein berühmter Mann. Einer der besten Zauberer der Welt. Ein Entfesselungskünstler. Houdini begeisterte Anfang des 20. Jahrhunderts sein Publikum mit spektakulären Aktionen. Handschellen, Ketten, Zwangsjacken, Käfige – es gab nichts, aus dem Houdini sich nicht befreien konnte.

An diesem Donnerstag in Berlin tritt hundert Jahre später ein Mann auf, der so etwas wie ein Anti-Houdini ist. Einer, der sich freiwillig in Ketten legt, weil ihn erst die absolute Zwangslage zum Leben erweckt. Ein Selbstfesselungskünstler. Sein Name: Gerhard Schröder.

Er ist fast so berühmt wie Houdini. Er hat den gleichen Sinn für eine gute Show wie Houdini. Er kann nur nicht mehr sein Publikum begeistern. Die Menschen haben die Fesselnummer durchschaut. Sie sind die Schröder-Performance leid.

Dabei ist seine Aufgabe an diesem heutigen Tag spektakulär genug. Dieser Gerhard Schröder steht am Morgen im Reichstag, gibt eine Regierungserklärung ab, trifft sich am Nachmittag zweieinhalb Stunden mit Angela Merkel, Edmund Stoiber und Joschka Fischer im Kanzleramt zu einem „Gipfel“, und als er am Abend vor das Publikum tritt, klatschen die einen für dies ein wenig Beifall und die anderen für jenes. Im Grunde jedoch wollen alle nur wissen, ob das Land heute anders aussieht als gestern. Tut es natürlich nicht. Es gibt immer noch 5,2 Millionen Arbeitslose. Nur in Kiel hat ein einsamer Genosse Geschichte geschrieben und eindrucksvoll bewiesen, dass es mit Rot-Grün nicht mal mehr in den eigenen Reihen weit her ist.

Nun ist so eine Frage nach dem ganz großen Wurf eine ziemliche Anmaßung, vor allem wenn man bedenkt, dass dieser Künstler Schröder im Nebenberuf Politiker ist und Angehörige dieses Berufsstandes an einem Tag gemeinhin nicht viel zustande bringen. Selbst Gott hat für ein so läppisches Werk wie die Erschaffung der Welt sechs Tage benötigt. Aber an diesen überzogenen Ansprüchen ist Schröder selbst schuld. Er hat sich in diese unmögliche Lage gebracht. Er wollte das so.

Als Merkel und Stoiber dem Regierungschef vor drei Wochen einen Brief schrieben, ihm darin einen „Pakt für Deutschland“ vorschlugen und diesen Brief etwas stillos an der Pforte des Kanzleramts abgeben ließen, da kommentierte Schröders bester Mann, was er von diesem ganzen Vorgang hielt. SPD-Parteichef Franz Müntefering nannte das Angebot „verlogen und moralisch verkommen“. Eigentlich war schon alles vorbei – bis der Kanzler von seiner Arabien-Reise zurückkehrte und plötzlich fand, dass es wieder einmal Zeit wäre, sich in Bedrängnis zu bringen. Die Lage dafür war beschissen genug: 5,2 Millionen Arbeitslose, Visa-Affäre, ein hilfloser Außenminister, demoralisierte Sozialdemokraten, ein drohendes Debakel in Nordrhein-Westfalen. Also legte sich Schröder für diesen 17. März freiwillig in Ketten. Eine Rede und ein „Gipfel“ sollten seine ganzen Kräfte mobilisieren und alles auf einmal lösen: Mit dem Job-Gipfel wollte er zeigen, dass er noch regieren kann. Mit seiner Rede wollte er Horst Köhler beweisen, dass es noch eine andere als eine neoliberale Vision von Deutschland gibt. Und vor allem wollte er deutlich machen, dass es immer noch auf ihn ankommt, den Macher, jetzt mehr denn je, wo selbst Fischer und Müntefering wanken.

Schröder sieht für seine Verhältnisse gar nicht so schlecht aus an diesem Tag. Er hält eine Regierungserklärung, in der viel vom Wert des „Sozialstaats“ die Rede ist. Zugleich verteidigt er die Reformen der Agenda 2010, die diesen Sozialstaat ja gerade abbauen. Und immer dann, wenn er so tut, als wolle er seiner eigenen Partei nicht mehr viel zumuten, weil die Maßnahmen der Agenda 2010 „zu greifen beginnen“, legt er mit insgesamt 20 neuen Vorschlägen nach, die aber fast allesamt nicht den kleinen Leuten nützen werden, die das Vertrauen in ihre SPD verloren haben. Ein selbstbewusster Kanzler steht da im Reichstag, der eine Spur zu aufgesetzt zu beweisen versucht, dass er „aus Verantwortung für unser Land“ seinen Weg entschieden weitergehen wird.

Dabei weiß Schröder nur zu genau, dass er eben kein Houdini ist, kein Zauberkünstler, der seinem Publikum etwas vorgaukeln kann. Es gibt keine Wunderwaffe im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Am Abend im Kanzleramt gibt er das sogar zu, als er den „Job-Gipfel“ schnöde eine „Zusammenkunft“ nennt, die „sehr hilfreich gewesen“ sei. Die einzelnen Maßnahmen, auf die sich Regierung und Opposition geeinigt hätten, seien nur als „zusätzliche Impulse“ für die Umsetzung der Agenda 2010 zu betrachten. Zur allgemeinen Stimmungsaufhellung hat der Kanzler lieber das „Maß an Gemeinsamkeit“ mit der Union betont, aber pflichtschuldig dementiert, dass dies etwa der Anfang einer großen Koalition gewesen sei.

Merkel und Stoiber haben Schröder nicht hängen lassen, weil sie wissen, dass eine Blockadestrategie selbst im eigenen Lager nicht gut ankommt. Aber befreit haben sie den Regierungschef nicht. Die Zeit spielt für sie, nach dem Simonis-Desaster erst recht. Stoiber hat am Vormittag im Bundestag gesagt, was Deutschland vor allem braucht: „eine neue Regierung“.