Gefeiert, verfolgt, vergessen

Im mächtigen Repräsentantensaal des Centrum Judaicum in Berlin, dort also, wo einstmals das jüdische Gemeindeparlament tagte, ist jetzt eine Sportausstellung platziert. Von der hohen Kuppeldecke hängen kreisförmig vierzehn Tafeln tief in den Raum hinab. Schöne, große und stolze Frauen sind da auf Schwarzweißfotos zu sehen. Es geht um Gretel Bergmann, Martha Jacob und Lilli Henoch. Drei jüdische Leichtathletinnen, die zwischen 1922 und 1936 allerhand deutsche Rekorde errangen, so manchen internationalen Titel gewannen.

Mit Ernst und Hingabe, zunächst voller Glück und Freude und später dann mit fast unglaublicher Selbstachtung und Selbstbehauptung betrieben sie ihren Sport. So lange, wie sie es in Deutschland durften. Bis 1933 waren sie gleichberechtigt integriert in die bürgerlichen Sportvereine. Lilly Henoch beim Berliner SC, Gretel Bergmann im Ulmer FV und Martha Jakob beim SC Charlottenburg in Berlin. Sie waren Stars, Profis, emanzipierte Frauen. Stolz klebten die Kinder der Weimarer Republik ihre Sammelbilder in die Sportalben jener Zeit. Gretel Bergmann neben Max Schmeling.

Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aber sind die drei Ausnahmeathletinnen vergessen. „Der Sport denkt immer nur in der Gegenwart, ein wenig in die Zukunft, doch nie in die Vergangenheit“, erklärt Joachim Teichler, einer der Macher der Ausstellung, mit der das offizielle Kulturprogramm zur Leichtathletik Weltmeisterschaft in Berlin eröffnet wurde.

So normal sich das sportliche Leben der drei Athletinnen in der Weimarer Republik noch gestaltete, so tragisch wendete es sich nach 1933. Am Ende stand die Emigration oder die Deportation. Wie schnell sich auch ein Sportverein von einem Hort der Gemeinschaft zu einem Ort der Ausgrenzung und Anfeindung verwandeln kann, das haben alle drei Sportlerinnen zu spüren bekommen. Die Klubs beschlossen nach dem Januar 1933 die „Vollarisierung“, warfen ihre jüdischen Mitglieder raus.

Die sportliche Biografie vieler jüdischer Sportler geht dennoch weiter. Es folgt sogar eine kurze, wenngleich von den Nazis erzwungene Scheinblüte der jüdischen Sportvereine. In den beiden jüdischen Sportverbänden „Maccabi“ und „Schild“ finden auch die drei in der Ausstellung biografierten Sportlerinnen Unterschlupf. Die Hochspringerin Gretel Bergmann wird auf internationalem Druck sogar als einzige „Volljüdin“ in das deutsche Olympiateam aufgenommen. Aus dem sicheren England kehrt sie 1936 nach Deutschland zurück. In Stuttgart, im Adolf-Hitler-Stadion, stellt sie 22-jährig mit übersprungenen 1,60 Meter den deutschen Rekord ein. Es nutzte nichts. Obwohl dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und der mächtigsten Sportnation USA nicht verborgen blieb, dass Bergmann keine echte Chance auf eine Teilnahme an den Spielen hatte, lassen sie sich von der Scheinnominierung beschwichtigen. Sie lehnen einen Boykott der Spiele ab. Am 16. Juli 1936 macht sich das US-Team von New York mit dem Schiff nach Deutschland auf. Ein Tag später wird Gretel Bergmann aus dem deutschen Team geworfen. „Ein böses Erwachen aus einem wunderschönen Traum“, erinnert sie sich später in ihrer Biografie. 1937 wandert Bergmann in die USA aus.

Lilli Henoch bleibt in Berlin. In ihrer Wohnung gibt sie Privatstunden in Gymnastik. Sie hat Angebote aus dem Ausland. Doch sie will ihre Mutter und ihre Schüler nicht verlassen. Lilli Henoch wird deportiert und schließlich am 5. September 1942 in der Nähe von Riga im Alter von 43 Jahren ermordet. Martha Jacob verlässt bereits Ende 1933 Berlin, geht nach London, dann nach Südafrika. Dort stirbt sie 1976 in Kapstadt. Gretel Bergmann lebt heute in New York. Sie ist 95 Jahre alt. Ein Film über ihr Leben („Berlin 36“) wird im August in den deutschen Kinos zu sehen sein. TORSTEN HASELBAUER

■ Die Ausstellung „Vergessene Rekorde“ ist bis zum 23. August im Centrum Judaicum in Berlin zu sehen