Sieg für Multikulti-Ehe

Gericht verdonnert Ausländerbehörde, humanitäre Abschiebehindernisse zu beachten: Bei Paaren stets Einzelfall zu prüfen, Familienschutz vorrangig

Von Eva Weikert

Ein Hamburger Gericht hat die Abschiebewut der Ausländerbehörde gebremst und ihr grundsätzlich erschwert, binationale Paare zu trennen. So bewertete der Anwalt Mahmut Erdem gestern das Ergebnis eines Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht (VG). Die Richter verhinderten in letzter Minute die Abschiebung eines Türken, der mit seiner deutschen Frau ein Kind erwartet. Das VG verpflichtete die Behörde, dem werdenden Vater eine Duldung zu erteilen, damit dieser Zeit gewinne, sein Aufenthaltsbegehren zu begründen oder eine Vorabzustimmung zur Wiedereinreise vom Amt zu erwirken. „Der Gerichtsbeschluss ist richtungsweisend“, lobte Erdem, „erstmals wurde die Ausländerbehörde verdonnert, das neue Zuwanderungsgesetz anzuwenden.“ Demnach kann aus humanitären Gründen ein Bleiberecht gewährt werden.

Irfan Ö. sollte Montag ein Flugzeug nach Istanbul besteigen. Zwar ist er seit neun Monaten mit einer Deutschen verheiratet. Doch weil er ohne gültige Papiere in die Bundesrepublik gekommen war, ist er „vollziehbar ausreisepflichtig“, so Behördenjustiziar Johannes Richter.

Doch am Donnerstag setzte das VG auf Antrag von Ö. die Abschiebung aus. Diese würde das Grundrecht des Paares auf Schutz der Familie einschränken, begründete es seine Entscheidung mit Verweis auf Artikel 6, Absatz 1 Grundgesetz. Zugleich führte es das seit Januar gültige Zuwanderungsgesetz an, nach dem eine Abschiebung bei humanitärer Härte ausgesetzt werden kann. „Ohne weitere Klärung des Sachverhaltes“ sei Ö. die Ausreise „nicht zuzumuten“. Er müsse Gelegenheit erhalten, seine Duldungsgründe nachzuweisen wie die vorgebrachte Risikoschwangerschaft seiner Frau sowie eine etwaige Wehrverpflichtung in der Türkei. Die Behörde sei „verpflichtet, die familiären Bindungen (...) in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen“, mahnte das VG, „wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist“ – auch wenn vor Schließung des Lebensbundes gegen Aufenthaltsrecht verstoßen wurde.

„Die Behörde wird dazu verdonnert, alle zugunsten des Betroffenen sprechende Aspekte geltend zu machen“, jubelte Anwalt Erdem. Erstmals sei der Senat nun in der Pflicht, sein Abschiebeinteresse dem Schutz der Familie hintenanzustellen. „In der Vergangenheit konnte das Grundgesetz binationale Ehen nicht schützen“, erklärte Erdem. Das Ausländerrecht sei für Hamburgs Behörden „immer wichtiger“ gewesen. Ob sich die Amtspraxis nun aber ändert, „ist damit nicht klar“, kommentierte GALierin Antje Möller den VG-Spruch verhaltener. Zugleich appellierte sie an die Beamten in der Amsinckstraße, „den erweiterten Schutz, den das Zuwanderungsgesetz bietet, auszuschöpfen“.

„Herr Erdem interpretiert die VG-Enscheidung falsch“, reagierte indes Behördenjustiziar Richter. Der im Grundgesetz vebriefte Schutz der Familie sei „schon immer“ beachtet und „jeder Einzelfall“ genau geprüft worden.