Kunst gegen Kitas?

Darf die Kunsthalle erweitert werden, während in den Kitas Buntstifte fehlen? Ist Kultur Luxus – oder unerlässliche Inspirationsquelle? Ein Streitgespräch

Der Koalitionsausschuss hat Kultur und den durch sie beförderten Mentalitätswandel zum „unverzichtbaren Bestandteil der Sanierung“ Bremens erklärt. Auch nach dem Scheitern der Kulturhauptstadt-Kandidatur sollen die „mobilisierten Potenziale“ bewahrt werden – und, zumindest teilweise, auch die im Rahmen der Bewerbung eingeplanten Finanzmittel. Was nicht alle begrüßen. Ein Streitgespräch zwischen Rainer Müller, Sozialarbeiter und Personalrat der Bremer Kindertagesstätten, und Martin Heller, künstlerischer Leiter des Bewerbungsbüros.

taz: Herr Müller, dass Bremen bei der Vorauswahl zur europäischen Kulturhauptstadt verloren hat, ist für Sie eine gute Nachricht. Warum?

Rainer Müller: Bei den Kindertagesstätten sollen bis zu 1.000 Plätze und über 100 Stellen abgebaut werden. Deshalb haben wir gesagt: Wenn irgendwo noch Geld ist, können wir das gut gebrauchen.

Martin Heller: Die Gelder, die für die Kulturhauptstadt zu Verfügung gestanden hätten, würden Ihnen nach all meiner Kenntnis des Finanzrechts gar nicht zugute kommen. Denn es handelt sich um investive Mittel, während die Kitas im konsumtiven Haushalt sind. Aber wir müssen natürlich darüber reden, wie man Kultur mit den realen Bedürfnissen in einen Zusammenhang bringt. Ich glaube, dass Kultur dieser Stadt gut tut, weil sie Dinge verändert, die ich für veränderungsbedürftig halte.

Müller: Die Hochschule hat es durchaus geschafft, investive Mittel in Konsumtive umzuwandeln. Und wenn die 60 Millionen Euro für die Hauptstadt-Bewerbung wegfallen, die ja über einen Kredit finanziert würden, hat Bremen drei Millionen Zins- und Tilgungsersparnis. Das wäre für drei Jahre der Satz, der uns gestrichen wird. Wir ziehen an unterschiedlichen Teilen der Bettdecke. Und da sage ich: Der eine droht zu erfrieren, der andere bekommt vielleicht kalte Füße.

taz: Können Sie das nachvollziehen, Herr Heller?

Heller: Sicher. Aber damit sagt man letztlich: Kultur spielt keine Rolle für die Entwicklung der Stadt, eigentlich ist sie irrelevant.

Müller: Ich meine ja nicht, die Theater sollten dichtgemacht werden.

Heller: Es stört Sie also nur Kulturhauptstadt.

Müller: Ich habe noch einmal nachgelesen, was in der Koalitionsvereinbarung über die hohe Bedeutung der Kulturhauptstadt steht. So etwas finde ich weder für den Bildungs- noch für den Sozialbereich.

Wir können die Kinder nicht mit in die Stadt nehmen, weil kein Geld für die Fahrkarten da ist. Und ohne Buntstifte kann ich schlecht malen. Diese Voraussetzungen brauchen Sie aber, um das Publikum der Zukunft zu finden. Es sei denn, Sie orientieren sich …

Heller: … nur an den Reichen? Nein. Ich war früher auch mal Werk- und Zeichenlehrer und weiß genau, was es heißt, mit schlechten Materialien arbeiten zu müssen. Aber: Die Stadt ist angewiesen auf Leute, die von außen auf das System Bremen schauen und fragen: Wie bewegt sich das weiter? Während Sie nur einen Teil sehen, von dem Sie sagen: Da sind ja schon die Knochen wund. Beide Sichtweisen gehören zusammen. Nehmen wir den Anbau an die Kunsthalle. Es geht nicht um hübsche Architektur, sondern darum, ob man weiterhin Ausstellungen machen kann, die so viele Menschen in die Stadt bringen.

Müller: Die Kunsthalle sieht auch jetzt schon besser aus als viele Kindertagesstätten.

Heller: Ich bin alles andere als ein neoliberaler Hengst, der durch die Stadt galoppiert. Aber die Stadt braucht mehr Wettbewerb. Wenn sie überleben will – ich rede nicht einmal von der Selbständigkeit des Stadtstaats – braucht sie einen höheren Anspruch an sich selbst.

Müller: Das könnte ich alles wiederholen, bezogen auf die Notwendigkeit, für Kinder und Familien zu investieren. Das ist auch ein Standortfaktor.

Heller: Wissen Sie, was ich Ihnen wünsche? Ein Projekt „Europäische Bildungshauptstadt“. Das wäre das Äquivalent, um in einem gesellschaftlich wichtigen Sektor mit Hilfe eines Projektes alle Anstrengungen zu mobilisieren, um weiterzukommen. Das ist im Rahmen des Normalen nicht möglich.

Müller: Ich finde den Vorschlag toll. Bloß haben wir schon jede Menge runder Tische und externe Expertenrunden gehabt. Wir waren hier bundesweit führend, was die Integration Behinderter angeht. Nun soll das alles abgebaut werden. Wir kommen nicht drumherum: Es gibt einen Bereich, in dem richtig Geld angepackt worden ist, und das ist die Kulturhauptstadt.

Heller: Im Rahmen unseres „Weltspiels“ ist ein Immigrantenorchester entstanden, das im April sein erstes Konzert gibt. Damit können wir in einer so belasteten Debatte um Migration ein anderes Zeichen setzen als 150 Initiativen, die alle sagen, wir müssen etwas tun – und dennoch ändert sich nichts.

taz: Herr Müller, ist das eine Qualität, die Sie dem Projekt zugestehen – samt dem dafür notwendigen Geld?

Müller: Dass das Geld gut genutzt wird, habe ich verstanden – es geht mir nicht darum, dem Kulturhauptstadtbüro gute Ansätze abzusprechen. Nur: Uns würde so etwas auch gelingen, wenn wir eine Projektgruppe hätten, die in den Köpfen und Portemonnaies einiges mobil machen kann. Aber uns wird immer gesagt: Wir finden notwendig, was ihr verlangt. Aber es ist kein Geld da.

taz: Vielleicht mangelt es an der richtigen Vermarktung Ihrer Ideen?

Müller: Wir haben ja kein grundsätzliches Akzeptanzproblem: Jeder braucht Kindergärten. Wir können auch dreimal im Jahr ein paar tausend Eltern, Kinder und Erzieher auf die Straße bringen, ganze Wahlkämpfe werden mit Kindern und Schule gemacht – trotzdem wollen die Politiker hier nicht investieren. Sie machen lieber ihre Prestigeobjekte.

Heller: Ich muss Ihnen sagen: Die Schule in Bremen hat sehr wohl ein Imageproblem. Und aus dem Bereich kamen leider so gut wie keine Projektvorschläge. Obwohl wir immer gesagt haben, dass kulturelle Bildung für uns ein wichtiges Thema ist.

Müller: Ich lade Sie gerne ein, mit Kulturprojekten in die Kindertagesstätten zu kommen.

Heller: Da haben Sie mich falsch verstanden. Ich sehe uns nicht als diejenigen, die kommen und etwas bringen. Das muss umgekehrt laufen.

Müller: Dazu muss jemand sagen: Ihr habt die Chance. Bei uns ist das nicht angekommen.

Heller: Dann haben wir vielleicht Fehler in der Vermittlung gemacht. Aber wir machen der Stadt bis Ende April ein Angebot. Darin wird der Bereich Kinder und Jugendliche dieselbe Rolle spielen wie bisher. Und dann warte ich auf Angebote.

Müller: Es bräuchte nicht die 60 Millionen, damit wir ein Projekt zusammen machen. Aber wenn Sie denn Geld haben, wäre es verrückt, wenn wir nichts Gemeinsames machen würden.

Anima- & Dokumentation: Friederike Gräff, Henning Bleyl