weinprobe
: Flüssige Hoffnung

Der Marathonläufer weiß: Das letzte Stück ist das schwerste. Und das einsamste. So geht es vielen mit diesem Winter, der zu spät kam, doch jetzt nicht mehr gehen will und immer neue Kälteschauer schickt. Unsere Körper sind von Erkältungen geschwächt, die Ressourcen erschöpft. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt – so heißt es jedenfalls. Sie ist zumindest eine starke Kraft. Und so können auch gute Weine sein. Mit sanfter Wärme, würzigen Aromen und muskulöser Kraft mögen sie uns helfen zu überleben. Bis der Frühling den kalten, dunklen Bann bricht.

Sur Lie

Kurz bevor die Loire in den Atlantik mündet, fließt sie durch das Land des Muscadet. Die Nebenflüsse Sèvre und Maine markieren die Gegend um Nantes. Dort bringt die Melon-Traube – nicht der Muscat! – besten Muscadet hervor. Das Meer ist nahe, salziges Seeklima prägt die dünnhäutigen Beeren. Guter Muscadet atmet daher Meeresluft. So wie dieser Weiße. Er durfte einen ganzen Winter lang, bis weit ins Frühjahr, auf seiner Hefe, sur lie, ruhen.

Die für Weißweine ungewöhnlich lange Fassreifung hat ihm auf natürliche Art eine feste Struktur, Haltbarkeit und Frische verliehen. Sein Duft hat von der natürlichen Hefe zudem feine Aromen bekommen, die subtil an weißes Brot erinnern. Hinzu kommt das herzerfrischende Aroma von Limonen. Am Gaumen spürt man eine enorme Fülle, die von vitaler Frische, Leichtigkeit und mineralischem Ernst getragen wird. Ein köstlicher Wein mit vielen Schichten, delikaten und tiefgründigen. Wunderschön zum Solotrinken, begleitet zudem perfekt die Frühlingsküche: Salate, leichte Geflügelgerichte, Meeresfrüchte und Fisch.

2003 Muscadet Sèvre et Maine sur Lie Réserve, Weißwein trocken, Loire, Frankreich, Chateau du Cléray Grès, 9,20 Euro in der Weinhandlung „Vinalia“, 10625 Berlin-Charlottenburg, Pestalozzistr. 85, Telefon (0 30) 34 70 90 90, Di. bis Fr. 12 bis 19 Uhr, Sa. 10 bis 16 Uhr.

Indio

Montepulciano ist eine Rotweintraube, sie hat aber nichts zu tun mit dem gleichnamigen Bergstädtchen in der Toskana. Die Heimat der Rebe sind die Abruzzen, eine Massenweinregion, die unweit von Rom beginnt. Der dortige Wein ist oft billig, dünn und medioker. Er zehrt vom Bella-Italia-Mythos. Kurz, er ist eine Zumutung für den Gaumen. Aber es ist eine alte Geschichte: Irgendwann kommt ein Winzer, der aus dem Trott aufwacht, einiges anders macht und die geschmackliche Schönheit einer unterschätzten Traube schmeckbar macht. Dann wird aus dem hässlichen Entlein ein wunderschöner Schwan.

Und Italien hat einen neuen Rotweinstar: Indio ist sein Name. Sein Duft erinnert an verdorrte Kräuter, wilde Träume und vollreife schwarze Kirschen. Sein Geschmack ist die Begegnung von intensiver Fruchtaromatik und zarter Herbe. Sein Kern ist fest. Der Körper weich. Hinterlässt Spuren in der Erinnerung. Viel Wein fürs Geld. Perfekt zu Pasta und zur Gemüsepfanne.

2000 „Indio“ Montepulciano d’Abruzzo, Rotwein trocken, Italien, Abruzzen, 8,50 Euro in der Weinhandlung „Vinalia“ (s. o.).

TILL EHRLICH

Der Autor ist degustationserfahrener Weinkritiker und -publizist, 2003 wurde er als bester deutscher Weinjournalist mit dem Prix de Champagne Lanson ausgezeichnet.