„Ich vertraue dem Gefühl“

Ein Gespräch mit DJ Boris über sein Leben in New York in den Achtzigerjahren, seine Berlin-Rückkehr nach dem Mauerfall und seinen Durchbruch mit House und Disco in der Panoramabar des Ostguts

INTERVIEW ULF LIPPITZ

taz: Boris Dolinski, Sie arbeiten als DJ und auch als A&R-Manager für Careless Records. Hätten Sie gedacht, dass sich Ihr Leben einmal so um Musik drehen würde?

Boris Dolinski: Nein. Als ich mit 18 Jahren anfing auszugehen, habe ich mich schon sehr wohl gefühlt mit Musik. Eigentlich wollte ich aber studieren, nur hat das leider nicht geklappt. Danach bin ich meinen Gefühlen gefolgt. Da ist es passiert, dass ich mich in Männer verliebt habe, die nicht in Berlin lebten. So bin ich nach New York gezogen.

Das war 1986. Wie war die Stadt für Sie?

Ich habe mich vier Jahre amüsiert – obwohl ich nur vier Wochen bleiben wollte. Es hat mir so gut gefallen, dass ich den Aufenthalt verlängert habe, nach drei Monaten meinen ersten Job als Kellner hatte und nach sechs Monaten vor der Entscheidung stand, zurückzugehen oder zu bleiben.

Warum sind Sie geblieben?

Wegen der Musikszene. Disco war tot, House Musik kam gerade auf. In Berlin kannte man solche Musik gar nicht. Ich habe noch Larry Levan als DJ in der Paradise Garage erlebt, bin ins Loft und Palladium gegangen. Die Clubs blieben bis 12 Uhr mittags auf, die Leute haben gefeiert bis zum Umfallen.

Was war damals anders in Berlin?

Berlin besaß eine überschaubare Musikszene. Dadurch existierte ein gewisser Klüngel. Man feindete sich eher an, als miteinander zu feiern. Und die Szene beschränkte sich auf zwei Läden: den Dschungel und das Chacha.

Wie haben Sie in New York überlebt?

Erst war ich Busboy, dann Kellner.

Hatten Sie keine Schwierigkeiten mit der Green Card?

Ich hatte keine – und wurde auch nie nach einer gefragt. Bis 1990 waren die Gesetze verhältnismäßig locker. Man konnte dieselben Sachen machen wie alle anderen. Wenn man eine Wohnung mietete, brauchte man keinen Ausweis, da genügte Geld. Kontrollmechanismen gab es kaum.

Warum sind Sie 1990 zurückgekommen?

Meine Beziehung ging zu Ende. Außerdem habe ich gemerkt, dass in Europa viel passiert. Die Botschaften wurden besetzt, die Grenzen geöffnet – und plötzlich fiel die Berliner Mauer. Das war für mich als Berliner vollkommen unbegreiflich.

Sahen Sie Berlin nach Ihrer Rückkehr mit neuen Augen?

Na ja, Westberlin blieb dasselbe. Aber ich fand es aufregend, in Schönefeld zu landen und keine Vopos um sich herum zu sehen. Meine Schwester hat mich abgeholt, wir sind mit dem Auto Unter den Linden entlanggefahren und haben einen Kaffee getrunken. Das war vor meinem Umzug unmöglich.

Wie haben Sie sich an den Rhythmus Berlins gewöhnt?

Zuerst gar nicht. Ich bin in einen richtigen Leerlauf geraten. Es hat sechs Wochen gedauert, bis ich wieder richtig Deutsch sprechen konnte. Nach fünf Monaten habe ich mich an das langsamere Berlin akklimatisiert.

Und dann?

Ich habe von einem Freund erfahren, dass ein sehr guter Plattenladen aufgemacht hat. Das war Hardwax. Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet.

Und den Aufschwung von Techno genossen?

Nein, bis heute lege ich keinen Techno auf. Hinter mir lag eine ganz andere Erfahrung. Ich konnte mit dem Stil nichts anfangen. Das war mir zu minimal, zu schnell.

Sie gingen auch nicht auf die Partys?

Vielleicht dreimal ins E-Werk. Ich konnte das mit meiner Erinnerung an New York nicht verbinden. Einmal war ich 1990 auf einer Love Parade, weil Motte oft bei Hardwax vorbeischaute. Aber ich bin nicht mitgelaufen.

Wo haben Sie House Musik gehört?

Zu Hause. Ich habe mir Platten aufgelegt, mich mit Freunden zusammengesetzt und die Begeisterung geteilt.

Das klingt ja wie Exil!

Ja, ich habe den Sonnenuntergang der Clubkultur in New York miterlebt – und konnte mich mit dem Neuen in Berlin nicht identifizieren. Aber mein New York gab es auch nicht mehr. Die Clubs mussten schließen, Larry Levan starb, andere DJs gingen in Reha – die ganze Szene zerbröselte.

Waren Sie danach je wieder in New York?

Nein, nie. Ich habe zwei Jahre in Harlem an der 138. Straße gewohnt. Das war damals das einzig bewohnbare Haus, ich der einzige Weiße weit und breit. Heute ist die Gegend renoviert, hat eine Gentrifizierung erlebt. Warum soll ich dorthin fahren und nach Murmeln der Erinnerung fischen?

Beschwören Sie als DJ diese Zeit in New York herauf?

Ja. Ich versuche dasselbe Gefühl zu vermitteln. Von Larry Levan habe ich mitbekommen, dass man seinem Gefühl vertrauen muss, was ein guter Track ist – man muss selbst von ihm überzeugt sein. In der Panoramabar habe ich hoffentlich eine ähnliche Stimmung kreiert.

Dort haben Sie 2000 Ihren Durchbruch als DJ gehabt. Wie kamen Sie zum Auflegen?

Mich hat ein Freund 1994 überredet. Zu der Zeit wollte ich schon weg von der Musik. Clubkultur war für mich abgeschlossen. Ich dachte, je weniger ich mich damit beschäftige, umso mehr komme ich davon los. Aber letztlich ist es mir nicht gelungen.

Wie hat sich die Panoramabar für Sie entwickelt?

Es war sehr aufregend. Ich stand damals vor der Entscheidung: Soll ich das Auflegen als teures Hobby weiterführen oder sein lassen? Wäre die Anfrage aus der Panoramabar nicht gekommen, hätte ich aufgehört.

Warum haben die Sets dort so gut funktioniert?

Weil ich einen anderen Sound gespielt habe. Ich habe von Funk und Disco über Elektro alles gespielt, in einer kruden Mischung.

Wie gefällt Ihnen der Nachfolgerclub im Berghain?

Gut, aber die Atmosphäre in einem größeren Club ist anders. In die alte Bar passten 200 Menschen, in die neue dreimal so viel. Da muss ich mich mehr anstrengen.

Wo finden wir Sie in zehn Jahren?

Hoffentlich immer noch hinter den Plattentellern.