Neuseeland will seine Fachkräfte zurück

Regierung ruft wegen Arbeitskräftemangel Landsleute aus dem Ausland in die Heimat zurück – zum Ärger Australiens

SYDNEY taz ■ Neuseeland will seine Facharbeiter zurückhaben. Wie Vizepremierminister Michael Cullen erklärte, sollen im Ausland lebende Staatsbürger sich in der Heimat am Aufbau der Wirtschaft beteiligen. Laut Cullen leidet Neuseeland (Arbeitslosenquote: 4,6 Prozent) unter einem immer prekäreren Mangel an Arbeitern mit handwerklicher Ausbildung. Der Grund: Jedes Jahr wandern tausende qualifizierte Arbeitskräfte aus. Gegenwärtig leben 600.000 NeuseeländerInnen im Ausland – ein Drittel aller Arbeitskräfte.

Dass Cullen den Aufruf in erster Linie an seine in Australien lebenden Landsleute richtete, erstaunt nicht. Die meisten „Kiwis“ – so der nach dem Nationalvogel benannte Kosename für Neuseeländer – leben im Nachbarstaat. Dort ist die Arbeitslosigkeit mit 5,1 Prozent ähnlich niedrig. Neuseeland ist für Australien seit Jahren die wichtigste Quelle für qualifizierte Arbeitskräfte. Insbesondere aus der Bauwirtschaft sind neuseeländische Arbeiter nicht mehr wegzudenken. Cullen meinte, das Vakuum im Arbeitsmarkt könne nicht nur durch Ausbildung jüngerer Arbeitskräfte und die Anwerbung von Einwanderern behoben werden. Neuseeland betreibt schon heute ein großzügiges Einwanderungsprogramm für qualifizierte Immigranten.

Für Australien kommt der Ruf aus Wellington zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das Nachbarland hat genau dieselben Probleme wie Neuseeland. In den letzten Wochen zeigte sich, dass ein akuter Mangel an Fachleuten zu Verzögerungen beim Bau bedeutender Infrastrukturprojekte führt. Experten glauben, dass der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften mit ein Grund für die Abschwächung der australischen Konjunktur ist – nach 13 Jahren rapiden Wachstums. Die Wirtschaft klagt schon länger über eine sich zuspitzende Versorgungskrise auf dem Arbeitsmarkt. Gerade im Bergbaubereich, der wichtigsten Industrie Australiens, fehlt es an Fachleuten. Mehrere große Bergbauprojekte können begonnen werden, weil Unternehmen keine Angestellten finden.

Canberra überlegt jetzt, die Zahl qualifizierter Einwanderer deutlich zu erhöhen. Dagegen wehren sich die Gewerkschaften, die der konservativen Regierung von Premierminister John Howard vorwerfen, sie habe die Ausbildung junger Arbeitskräfte vernachlässigt. Howard riet jungen Australiern kürzlich, die Schule frühzeitig zu verlassen und eine Berufsausbildung zu beginnen, statt an die Uni zu gehen. „Vielen Handwerkern geht es besser als Akademikern“, so der Premier. Das Jahreseinkommen eines Spenglers liegt meist mehrere zehntausend Dollar über dem eines Universitätsdozenten. URS WÄLTERLIN