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: Kurzsichtige Blockadepolitik

Steuersenkung, Investitionsprogramm, Bürokratieabbau – es wird derzeit viel über Schwächen des Systems debattiert. Und wie diese zu beheben seien. Wahrscheinlich ist das typisch deutsch: Über Stärken redet niemand, erst recht nicht, wie man die Stärken stärken könnte.

KOMMENTARVON NICK REIMER

Zum Beispiel beim Klimaschutz: Wenn sich die EU-Staatschefs nächste Woche zum Gipfel in Brüssel treffen, bietet sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, ein wahres Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen. In ihrem Frühjahrspapier werden die Staatschefs der EU auch neue Wege in der Klimapolitik beschließen. Das ist gut für die deutsche Wirtschaft. Gebäudedämmer, Siliziumgießer, Windradbauer, ganze Forschungseinrichtungen – der Wirtschaftszweig Klimaschutz ist längst zu einer Jobmaschine geworden, die bereits heute mehr Leute beschäftigt als etwa der Steinkohlebergbau. Ehrgeizige EU-Klimaziele können diesen Trend noch stärken – schon allein deshalb, weil sie Investitionsentscheidungen langfristig und maßgeblich beeinflussen.

15 bis 30 Prozent weniger Kohlendioxid bis 2020, im Jahr 2050 sogar 60 bis 80 Prozent weniger als 1990 – tatsächlich sind die Ziele der EU ehrgeizig. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass im Vorfeld des Gipfels die Bremser solcherlei Ehrgeizes mächtig in den Seilen hängen. Auch deutsche Bremser sind dabei, die auf Schwächen im System verweisen: Zu viel Klimaschutz koste Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb. Die Bundesregierung will deshalb zwar die 2020-Ziele mittragen, nicht aber die für 2050.

Das ist dumm und kurzsichtig. Im Herbst nämlich trifft sich die Weltgemeinschaft in Kanada zum neuen Klima-Gipfel – dem ersten, auf dem das Kioto-Protokoll nicht mehr die zentrale Rolle spielen wird. Stattdessen wird das Post-Kioto-Zeitalter eingeläutet. Längst anerkannter Stand der Wissenschaft ist, dass die Kioto-Reduktionen das Klima nicht retten werden, dass wir drastischere Reduktionen der Treibhausgas-Emission brauchen. In die internationale Klimaschutz-Politik wird diese Erkenntnis nur eingehen, wenn es diplomatische Impulse gibt.

Das EU-Ziel 2050 ist ein solcher Impuls. Sich jetzt dafür einzusetzen bedeutet Stärken stärken. Wer das zu verhindern sucht, produziert nur eine neue Schwäche des Systems: Spätestens in zehn Jahren werden uns die klimatischen Realitäten zu drastischem Handeln zwingen.

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