fußpflege unter der grasnarbe
: Auf der Flucht vor dem Nussknackerpräsidenten

Das „Klock 9“ heißt „Klock 9“, weil: Wirtin Uschi hat einen Tick. Einen Uhrentick. An den Wänden ihrer Schänke kleben große Uhren, kleine Uhren, elektrische Uhren, Pendeluhren, Stand- und Kuckucksuhren. Die kaputten Chronometer sind eindeutig in der Überzahl und stehen alle auf neun. Deshalb heißt Uschis Kneipe „Klock 9“ und nicht „Klock 8“ oder „Klock 10“.

Warum das englische Wort für Uhr mit dem Anfangsbuchstaben K statt mit korrektem C auf Schildern und Speisekarten prunkt, ist nicht bekannt. Recherchen in dieser Richtung verbietet der Respekt vor Uschis schlichter Herzlichkeit. „Ist eben Uschi ihr Tick“, sagt Herr Rasen. „So isses“, sagt Herr Baumann und schüttet genüsslich ein kleines Pils in den Schlund.

Ich sage: Uschi, noch mal drei, bitte. Dann male ich eine 2 hinter die Paarung 96 – Gladbach und schiebe den Tippzettel mit melancholischem Lächeln hinüber zu Herren Rasen. Herr Rasen brummt „Hör auf“ und tippt den Zeigefinger gegen die Stirn.

Das ist die Ruhe vor dem Sturm. Denn Klock 15.30 Uhr erscheint auf dem Großbildschirm links unter der Decke Hannovers AWD-Arena. Früher hieß die mal Niedersachsenstadion. Früher waren Herr Rasen, Herr Baumann und ich dort Stammkunden – damals, als die Präsidenten dick und die Eintrittspreise mager waren wie das Spielniveau.

Jetzt sieht der Präsident aus wie ein Nussknacker. Er hat VIP-Logen an- und das Bargeld abgeschafft. Sein Manager lässt Chipkarten verteilen, die man mit 20 Euro laden muss. Das Wechselgeld für die Bratwurst behält er ein, davon zahlt der Nussknacker die Schulden ab für das neue Stadion. Das ist jetzt WM-Spielort und hat Weltniveau, was man daran merkt, dass Ecken und Einwürfe von Gebrauchtwagenhändlern gesponsert werden.

Seitdem ist das ehrwürdige Stadion die Vorhölle des Grauens, Heimstatt der Lauen und Gleichgültigen, der Minderbemittelten und mit Unbeholfenheit Geschlagenen. Wir gehen nicht mehr hin.

Zunächst gingen wir zu „Iannis“. Herr Rasen hatte ihm den Ankauf von Premiere samt Leinwand und Videobeamer ans Herz gelegt und „ein Bombengeschäft“ versprochen. Es gab ein 0:3 gegen Leverkusen. Iannis lachte. Iannis versteht nichts vom Fußball, aber er setzte 50 Gyros und 100 Liter Bier ab. Es gab Klatschen gegen Dortmund und Schalke. Iannis verkaufte 200 Liter Bier und strahlte wie ein Kronleuchter.

Als 96 in Wolfsburg unterging, nahmen drei Tätowierte sein Lokal auseinander. Am nächsten Wochenende kam Rostock. Nach dem 0:1 kippte ein Rentner vom Stuhl. Herzinfarkt.

Iannis warf uns raus und den Beamer auf den Müll. Seitdem sitzen wir im „Klock 9“. Die Roten liegen schon wieder zurück. Durch die Schenke hallen Flüche und waidwundes Stöhnen. Zuraw verstolpert, Stefulji fällt, Krupnikovic spielt wie eine Wurst, während Paunovic, Lienens balkanischer Wunderstürmer, hinter Borussias Viererkette Ostereier sucht. „Ich halt‘ das nicht mehr aus“, sagt Herr Rasen. „Ich tue mir das nicht mehr an“, sagt Herr Baumann.

Dann gleicht Stajner aus. Und Vinicius schießt das 2:1. Wir weinen vor Glück.