Ergebnis beendet Krise

Mit dem 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach schafft Hannover 96 den ersten Heimsieg seit langem, und Trainer Ewald Lienen entrinnt vorerst der Tyrannei der „dummen Zahlen“

AUS HANNOVERDIETRICH ZUR NEDDEN

Als der Ball noch aus Leder war, die Torpfosten aus Holz, der Rasen unbeheizt und ein Stadion keine Arena, notierte Robert Walser: „Man braucht nicht viel Besonderes zu sehen. Man sieht schon so viel.“ Oder man hört’s: die Pfiffe und „Lienen raus!“-Rufe, als der Stadionsprecher vor dem Anpfiff eigentlich nur um den Nachnamen bat: „Unser Trainer, das ist Ewald …“ Stimmt, aber wie lange noch?, fragten sich manche. Das 2:1 gegen die auswärts weiterhin sieglosen Gladbacher macht die Frage vorläufig überflüssig. Allerdings: Hätte man in der Halbzeit auf einen Sieg der Gastgeber gewettet, man hätte wahrscheinlich eine Quote von 1.000:1 erwischt.

Eine Niederlage der 96er wäre nichts Besonderes gewesen nach Stücker sieben in den letzten neun Spielen, in denen Hannover insgesamt drei Tore geschossen hatte. Dumme Zahlen, stimmt, eine „Ergebniskrise“, wie Lienen es nannte, aber vor allem zu Hause hatte 96 meistens enttäuscht. Ausführliche topografische Zustandsbeschreibungen aus dem Niemandsland der Liga, in das sich die Roten durch die Serie manövriert haben, vermeldeten kürzlich die Frankfurter Rundschau und die FAZ. Ist das Führungstrio der Hannoveraner als Bermuda-Dreieck aufzufassen? Präsident Martin Kind, der im Sommer aus Leverkusen engagierte Jungmanager Ilja Kaenzig und eben Lienen, der vor ziemlich genau einem Jahr anheuerte?

Kinds Versprecher seinerzeit bei der Vorstellung Lienens, der sei der ideale Mann für den „Klassenkampf“, war ein Brüller gewesen. Die Roten blieben drin. Und versetzten in der Hinrunde nach Startschwierigkeiten („Lienen raus!“) das Publikum in Erstaunen, tummelten sich im oberen Drittel der Tabelle, und der 20-jährige Per Mertesacker aus dem eigenen Nachwuchs wurde sogar zum Nationalspieler erkoren. Vom Uefa-Cup war die Rede, was sonst. Lienen bremste und lehnte die öffentliche Rhetorik ab, ein neues Saisonziel zu formulieren. Zwischen ihm und Kaenzig, den Kind, wie es heißt, als den Vorgesetzten des Trainers sehen möchte, Differenzen wahrzunehmen, war und ist nicht weiter schwierig. Nicht nur als Lienens auslaufender Vertrag um zwei Jahre verlängert wurde. Kaenzig hatte zunächst für ein Jahr plädiert. Und trotz Kaenzigs Veto bekam Lienen Paunovic, den Stürmer von Atlético Madrid, den er aus seiner Zeit in Teneriffa kennt. Zu äußerst fairen Modalitäten, muss man ergänzen. Man habe ganz ohne Risiko einen „Weltstar“ verpflichtet, sagte Lienen, an dieser Verpflichtung „lasse ich mich auch messen“. Dass er Christiansen, einen Liebling der Fans, in der Folge doch ein bisschen demontierte, das Risiko ging er ein.

Das jüngste Beispiel war auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Gladbach mitzuerleben. Kaenzig erwähnte beiläufig Vladimir But, der „sein erstes Spiel von Anfang an“ bestreiten werde. Lienen, nicht faul, konterte sofort: „Wenn er spielt.“

Er spielte nicht. Buts Einsatz wäre durchaus plausibel gewesen. Krupnikovic, der Mann fürs Gestalterische, ist außer Form. Zudem musste Lienen sechs Stammkräfte ersetzen. But saß auf der Bank. Und blieb dort, nachdem Hannover 96 fürchterliche 45 Minuten gezeigt hatte. Die völlig verunsicherte Mannschaft brachte nichts zustande, spielte nicht mal gegen den Trainer, wie eine beliebte Unterstellung lauten würde. Sie spielte gar nicht. „Es hat einfach nicht gepasst“, so Lienen nachher. Gladbach kontrollierte, setzte Hannover früh unter Druck, vergab aber mehrere klare Chancen.

Seit der Erfindung der Straßenbeleuchtung unterscheiden sich Tag und Nacht weniger stark als die Halbzeiten dieser Begegnung. Kaufman und Stajner, das eingewechselte tschechische Angriffsduo, sorgten nach der Pause für dauerhaften Wirbel. Das Publikum spürte die wundersame Verwandlung sofort und reagierte: Eine „phänomenale Stimmung“, bedankte sich Torwart Enke später. Gladbach habe „immer weiter abgebaut, weil wir so stark waren“. Eine Minute nach dem Pfostenschuss von Kaufman hämmert Stajner eine Flanke seines Landsmanns direkt ins Tor (59.) Kurz darauf ein Freistoß von Krupnikovic, Paunovic verlängert mit dem Kopf, Vinicius trifft mit der Fußspitze. Der erste Heimsieg seit dem 13. November: doch was Besonderes. Und wie die Mannschaft hinterher feierte, nährte die Überzeugung, dass sie intakt ist.

Und was ist mit Gladbach? Trainer Advocaat war, nichts Besonderes, „sehr enttäuscht“. Er mache sich jedoch keine Sorgen. Sollte er aber vielleicht doch.

Hannover 96: Enke - Cherundolo, Mertesacker, Zuraw, Halfar - Schröter (86. Schneider), Vinicius, Stefulj (46. Kaufman) - Krupnikovic - Paunovic, Leandro (46. Stajner)Bor. Mönchengladbach: Keller - Korzynietz, Moore, van Kerckhoven, Daems - Kluge (36. Ulich), Thijs, Jansen (78. van Hout), Böhme - Neuville, Sverkos Zuschauer: 36.725Tore: 0:1 Sverkos (32.), 1:1 Stajner (60.), 2:1 Vinicius (73.)