Scharping hofft auf Toursieg in Berlin

Eben zum obersten Radfahrer Deutschlands gewählt, will der SPD-Politiker auch 2006 für den Bundestag kandidieren

„Vergesst mir den Mainzer nicht!“ Diese Mahnung soll Willy Brandt den – damals – führenden Genossen noch kurz vor seinem Tod mit auf die weiteren Lebenswege gegeben haben. Eine sozialdemokratische Legende zwar. Doch vergessen haben die anderen Enkel den – damals – stillen Rudolf Scharping aus dem Westerwald, der am Sonnabend in Saarbrücken zum Vorsitzenden des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) gewählt wurde, bestimmt nicht.

Als Willy Brandt starb, war Scharping gerade rheinland-pfälzischer Ministerpräsident. 1993 avancierte er zum Chef der Bundespartei, wurde nur ein Jahr später sogar Kanzlerkandidat (gescheitert 1994) und Fraktionschef der SPD im Bundestag. 1995 machte ihm dann Oskar Lafontaine in einer überraschenden Blitzkandidatur den Parteivorsitz erfolgreich – und für den Unterlegenen demütigend – streitig. Und 1998 wurde Scharpings „Intimfeind“ Gerhard Schröder Kanzlerkandidat. Der kürte ihn nach der gewonnenen Bundestagswahl zum Verteidigungsminister – wider Willen. Scharping nämlich wäre lieber Außenminister geworden.

Scharping vergaß sich danach selbst; nach einem bösen Sturz vom Fahrrad. Denn während auf dem Balkan der Krieg tobte, flog er nach Mallorca und planschte dort vor den Kameraleuten des Boulevards in einem Pool mit seiner Geliebten, einer Gräfin, um die Wette. Seine 1971 geschlossene Ehe mit Jutta Scharping, aus der drei Töchter hervorgingen, war da längst im Eimer. Und dann kaufte er auch noch bei „Herrenausstatter“ Moritz Hunzinger (PR) billig ein.

Scharping war nicht mehr zu halten, behielt aber sein Bundestagsmandat und sorgte weiter für Schlagzeilen: mit Gräfin als sehr gern gesehener Gast der „High Society“. Scharping im Smoking; und in der „Freizeit“ im Radfahrerdress. Das Bundestagsmandat und eine Gastprofessur an der Fletscher School bei Boston (USA) jedenfalls ließen ihm die Zeit, die einzelnen Etappen der Tour de France einsam zu bewältigen, darüber ein Buch zu schreiben und sich nun zum Präsidenten aller organisierten deutschen Pedalritter wählen zu lassen.

Jetzt strebt Scharping auch noch erneut den Spitzenplatz auf der Landesliste der rheinland-pfälzischen SPD zur Bundestagswahl 2006 an. Und nach allem, was aus der Staatskanzlei von SPD-Landeschef und Ministerpräsident Kurt Beck zu hören ist, könnte das auch klappen. Der „schlagzeilenträchtige“ Scharping weiter weit weg in Berlin. Ganz offenbar eine mehrheitsfähige Vision von Beck, auch wenn das der Exchefin der Jungsozialisten und gewesenen Bundestagsabgeordneten Andrea Nahles, die sich gleichfalls Chancen auf den ersten Listenplatz ausgerechnet hat, bestimmt nicht gefallen wird. Beck jedenfalls soll Scharping schon entsprechende Avancen gemacht haben. Schließlich lautete der Titel von Scharpings Magisterarbeit 1974: „Probleme eines regionalen Wahlkampfes am Beispiel der Bundestagswahl 1969 der SPD“.KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT