Aromen der Kindheit

HAUSMANNSKOST Gourmetküche ist out, Deutschland is(s)t wieder bodenständig. Zwei Bücher erzählen, wie wichtig Omas Essen war

Das Üppige: „Das is(s)t Deutschland. Menschen und ihr Lieblingsessen“. Dayone Verlag München, 254 Seiten, 39,90 Euro. Das Buch ist ausschließlich online auf www.das-isst-deutschland.de zu bestellen und kann dort bequem vorbesichtigt und durchgeblättert werden.

Das Praktische: „Essen kommen! 100 Prominente verraten ihre Lieblingsrezepte“. Brendow-Verlag Moers, 192 Seiten, 19,95 Euro. Für alle, die wissen wollen, was Merkel, Thatcher und Biolek gern essen, und warum Cindy aus Marzahn Wodka unter ihre Eierkuchen rührt.

VON ANJA MAIER

Dieser Moment. In einer fremden Stadt biegt man um die Ecke und – wumm! – steigt ein Duft in die Nase. Nach Essen, nach Kindheit. Gierig saugt man die Aromen ein und tritt näher. Hört Topfklappern, Schritte, Stimmen, Stühlerücken, schließlich klirrendes Besteck auf Porzellan. Draußen vor dem Küchenfenster möchte man vor Sehnsucht schier zusammenbrechen. Sehnsucht nach Heimatmamaomaküche. Nach dem Lieblingsessen.

„Bei der Frage danach fluten dir die Geschichten nur so entgegen“, sagt Nataly Bleuel. Sie muss es wissen. Mit der Autorin Dagmar Hoetzel und dem Fotografen Stan Engelbrecht ist sie durchs Land gedüst und hat Menschen nach ihren Lieblingsessen gefragt. „Das is(s)t Deutschland“ heißt ihr großartiges und opulentes Buch. In 52 Küchen zwischen Nordsee und Allgäu sind die drei vorgedrungen und ihr Befund ist eindeutig: Die experimentellen Jahre sind vorbei, Deutschland is(s)t wieder bodenständig.

Omas Sauerbraten

„Wir haben an viele Türen geklopft“, erzählt Bleuel, 42, von der Recherche. Die Deutschen, so viel war schnell klar, neigen nicht zur spontanen Entäußerung, Fremden gegenüber bleiben viele kühl. Letztlich lief es darauf hinaus, dass die Küchendetektive meist über Empfehlungen durch Freunde von Freunden vorgelassen wurden. „Aber dann haben die Leute viel zu erzählen, auch die Drögen. Und eigentlich sind Lieblingsessen ja immer Kindheitsessen.“

Für Bleuel ist dies der Grieß-Quark-Auflauf ihrer Oma. So wie für Simone Weikelt das Sauerbratenrezept ihrer Großmutter, dessen Geschichte die Erfurterin im Buch erzählt. Der Fischer Andreas Schönthier mag die Pflaumenknödel seiner Schwiegermutter, und das Wokgemüse von Neele Jargstdorf aus Bremen ist geschichtsloser WG-Reis-mit-Scheiß. Aber Neele will schließlich die Welt verändern und nicht kostbare Lebenszeit in der Küche vergeuden.

Luise Ludings Gebackenes Blut hingegen repräsentiert die Kategorie ganz alte Hausmannskost. Mit ihrer blitzsauberen Kittelschürze und der praktischen Duttfrisur würde man der Inhaberin eines Metzgereigasthofs alles abnehmen – selbst Gerichte wie das bei ihr im Fränkischen so beliebte Saure Herz.

Wie alle anderen hat auch die propere Frau Luding ihr Familienrezept für das Buch aufgeschrieben. In ordentlicher Schrägschrift steht da, wie sie es macht: „9 gr. Schöpfer Blut vom Schwein“ und – ein echter Vertrauensbeweis, so schreibt man nur für sehr gute Freunde – „4 x Pfeffersalz was man mit 3 Fingern nimmt“.

Man liest die Rezepte, schaut Engelhardts tolle Fotos an, lässt sich die Geschichten der Leute erzählen und vergisst darüber völlig, dass dies ein Kochbuch ist, in dem das Wichtigste fehlt: das Essen. Nie sieht man, was die Zitterbarths und Lo Prestis, die Stolles und Akinbiyis da eigentlich auf den Tisch bringen. Das, sagt Nataly Bleuel, sei Absicht. „In unserem Buch geht es um die Menschen.“ Und die, das zeigt das Buch, wollen auch mal die Geschichte ihres Lieblingsessens erzählen. Zweckfrei und nur fürs gute Gefühl.

Anders ist da die Motivlage bei „Essen kommen!“. In dem Buch aus dem Brendow-Verlag verraten hundert Prominente ihre Lieblingsrezepte. Legt man es neben das Coffeetablebook von Bleuel und ihren Kollegen, wirkt das wie Krustenbraten neben Dosenravioli. Das rührt daher, dass „Essen kommen!“ nicht von Hedonisten für ihresgleichen gedacht und gemacht ist, sondern von echten Helfern für Hilfsbedürftige. Die Idee zu dem Buch hatte der Jugendreferent einer brandenburgischen Methodistengemeinde. Andreas Hiller, 38, sieht in seiner Oranienburger Gemeinde jeden Tag, was Kinder brauchen: eine anständige Mahlzeit. Eine Kindheit, die Sauerbraten-Duftflashs bereit hält, scheint eher ausgeschlossen.

Weil Hiller mit seinen Schützlingen Geld für eine anständige Küche und gute Zutaten braucht, hat er zig Prominente gebeten, für sein Kochbuch ihr Lieblingsrezept aufzuschreiben. Und was ist rausgekommen? Heimatmamaomaküche. Eh klar.

Merkels Grünkohl

Familienministerin Ursula von der Leyen kocht „Omas Kartoffelsuppe“, der Fußballer Philipp Lahm Wiener Schnitzel, Schauspieler Manfred Krug Geschmorte Hühnerflügel. Und dass die Kanzlerin und ihr Herausforderer Steinmeier beide Grünkohl mit Mettwurst empfehlen, lässt ja nur den Schluss zu, dass Hausmannskost kochende Mütter machtbewusste Töchter und Söhne hervorbringen.