Kieler SPD verzweifelt am Heide-Mörder

Nach dem Abgang der Galionsfigur Heide Simonis wehrt sich Finanzminister Ralf Stegner gegen Gerüchte, er könnte die Ministerpräsidentin gestürzt haben. Tief demoralisiert gehen die Sozialdemokraten in Gespräche mit einer zufriedenen CDU

AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER

„Nein, wirklich nicht, nein!“, zitiert die Bild-Zeitung den Kieler Finanzminister Ralf Stegner (SPD). Stegner bestreitet, der Abweichler gewesen zu sein, der durch Stimmenthaltung Heide Simonis bei der geplanten Neuwahl zur Ministerpräsidentin stürzte. Natürlich outete sich bisher keiner der 35 Abgeordneten von SPD, Grünen oder SSW als „Heide-Mörder“, aber die dreifache Verneinung des Abgeordneten Stegner ist eine Erwähnung wert: Schon am Tag der Abstimmung wurde er als möglicher Abtrünniger genannt.

SPD-Parteichef Claus Möller und der Fraktionsvorsitzende Lothar Hay wiesen das Gerücht zurück. Dennoch hielt es sich hartnäckig, und die FDP schürte das Feuer. Der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki schildert in der FAZ am Sonnabend einen Wortwechsel mit Heide Simonis nach dem Wahldesaster. Aus seiner Sicht kämen „nur zwei Abgeordnete in Frage“. Der eine habe „eine Betroffenheit gezeigt, die nicht gespielt gewesen sein“ könne. Der andere sei Dr. Stegner. Simonis habe geantwortet: „Das sehen wir genauso hier in der Staatskanzlei.“ Gestern folgte das Dementi der FDP: Diese Passage „entspricht nicht der Wahrheit“. Die Staatskanzlei will gegen ein ähnliches Simonis-Zitat im Focus juristisch vorgehen.

Stegner, der in einem offenen Brief dem unbekannten Schuldigen ins Gewissen redete, profitiert auf den ersten Blick vom Abgang der Ministerpräsidentin: Parteichef Claus Möller erklärte bereits, Stegner werde eine „besondere Rolle“ spielen. Allerdings hätte Stegner Simonis wahrscheinlich irgendwann ohnehin beerbt – ob sich die Enthaltung, der „hinterhältige Dolchstoß“ (Simonis) unter solchen Umständen lohnte, ist überaus fraglich. Wenn die SPD die brodelnde Gerüchteküche nicht unter Kontrolle bringt, könnte Stegner sogar trotz Stimmabgabe für Simonis gezwungen sein, aus dem Landtag auszuscheiden.

Der CDU-Vorsitzende Peter Harry Carstensen spricht schon jetzt davon, Bernd Rohwer zurückzuholen: Der bisherige SPD-Wirtschaftsminister befürwortet die große Koalition und war vor kurzem zurückgetreten. Rohwer, der nicht dem Landtag angehört, könnte Stegner ersetzen.

Neben der Suche nach Mr. oder Mrs. X geht es jetzt um die Koalitionsfrage. Laut einer Ted-Umfrage des Flensburger Tageblatts will eine knappe Mehrheit der Schleswig-Holsteiner Neuwahlen – dazu wird es wahrscheinlich nicht kommen. Nach einem Treffen mit der SPD-Spitze erklärten die Grünen, man sei sich „einig, dass es weiterhin die Pflicht des gewählten Landtages ist, eine Mehrheit für eine stabile Regierung zu bilden“. Die Grünen schlossen praktisch aus, dass sie dieser Regierung angehören könnten: „Uns fehlt die Fantasie, uns vorzustellen, wie eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eine stabile Politik garantieren könnte. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Wolfgang Kubicki ist für uns kaum vorstellbar.“ Auch der SSW zieht sich zurück. „Der Landesvorstand hat beschlossen, keine weiteren Gespräche mit der SPD über eine Minderheitsregierung zu führen“, sagte die SSW-Spitzenfrau im Landtag, Anke Spoorendonk. „Der Ball liegt jetzt bei den beiden großen Parteien.“

Die werden sich nun zügig zusammensetzen – für den SPD-Landesvorsitzenden Claus Möller wird der Weg ins CDU-Büro ein Canossa-Gang. Peter Harry Carstensen kokettierte bereits: „Wir sind ein wenig selbstbewusster geworden.“ Kurz nach der Wahl am 20. März räumte die CDU den Genossen noch einigen Verhandlungsspielraum ein. „Jetzt gelten andere Preise“, sagte Carstensen. Beispielsweise in der Frage nach einer Schulreform sei die CDU zu keinen Zugeständnissen mehr bereit. Statt neue Wege zu wagen, werden sich die Großen auf einen realpolitischen Sparkurs einigen – ihm zum Opfer fallen dürften soziale Projekte und der Umweltschutz.