Toter Tyrann oder Berechnung

Nebenklage und Verteidigung prallen im Mordprozess um Ayse B. ein letztes Mal aufeinander. Urteil morgen

bremen taz ■ Am Ende der letzten Schwurgerichtssitzung vor der morgen im Landgericht erwarteten Urteilsverkündung bat die Angeklagte Ayse B. gestern unter Tränen alle Angehörigen für die Tötung ihres Mannes um Entschuldigung. Zuvor hatten Nebenklage und Verteidigung gegensätzlich plädiert – auf Freispruch die eine, auf lange Haft die andere Seite.

„Im Interesse der Kinder ist die Familie bereit, mildernde Umstände anzuerkennen“, erklärte Nebenklagevertreter Ürmit Irmak. Wegen der Schwere der Schuld und des Präventionsgedankens forderte er 14 Jahre Haft für die Angeklagte. Sie hatte ihren Ehemann im vergangenen September nach einem vielstündigen Streit, in dessen Verlauf der Getötete sie beleidigte, schlug und würgte, mit vier Schüssen im Schlaf getötet. Die Frau habe „unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit ihres schlafenden Mannes“ gehandelt, so Irmak. Sie habe die Ehe nicht mehr führen und ihren Mann loswerden wollen. Das Opfer dagegen beschrieb er als „netten, lebensbejahenden Menschen Anfang 40“, der für die Familie gesorgt habe. Er habe die Frau nicht in der Wohnung eingeschlossen, sondern ihr Telefon und Geld zum Lebensmitteleinkauf gewährt. Sie habe während seiner Arbeitszeiten Bewegungsspielraum gehabt. Zeugenaussagen, die die Sicht der Angeklagten von Psychoterror und Demütigung sowie ständiger Kontrolle und Bedrohung durch den Getöteten bestätigten, wertete er als „Komplott zwischen Mutter und Töchtern“. Der Sohn habe sich anders geäußert.

Mindestens hätte die Angeklagte versuchen müssen, den Mann zu verlassen, so der Anwalt. Eine Scheidung aber nach dem aufgeladenen Streit in der Tatnacht zu verlangen, sei geradezu provozierend gewesen. Die Frau sei eben nicht das „stille Wasser“, als das die Verteidigung sie darstelle. Auch nach der Tat habe sie rational gehandelt, widersprach der Nebenkläger der „einseitigen Sicht“ des psychiatrischen Gutachters. Der hatte verminderte Schuldfähigkeit in einer emotionalen Ausnahmesituation attestiert. Die Staatsanwaltschaft hatte darauf gestützt für Totschlag vier Jahre gefordert.

Verteidiger Gerhard Baisch plädierte gestern unterdessen auf „Freispruch aus Rechtsgründen“. So könnte das Gericht einer Lage gerecht werden, aus der es für die Täterin keine Lösung gegeben habe. „Die Tat bleibt Unrecht“, erklärte er. Und sie sei eine Katastrophe. Doch sei sie aus der sich zuspitzenden gewalttätigen Ehebeziehung zu erklären, in der die Frau sich gegenüber dem Familientyrannen nicht zu helfen gewusst habe. Er habe sie und ihre Familie für den Fall einer Trennung mit dem Tode bedroht, ja sogar in der Tatnacht habe er geäußert, er könnte sie im Schlaf töten. „Er hätte die Frau gehen lassen sollen“, so Baisch. ede