Als hätten Ochs und Weinberg sich abgestimmt

Jan Feddersens Gastrokritik: Das „Jolesch“ in Kreuzberg. Einen besseren Tafelspitz wird man wohl auch in Wien nicht finden. Claudia geht auch hin

So muss man sich das Kreuzberg vorstellen, das mit sich selbst zufrieden ist: in Form des Restaurants „Jolesch“, gelegen fast im Irgendwo des Gewimmels in SO 36. Früher, vor der Wende, ein Viertel im bürgerlichen Nirwana, autonom und stolz.

Und jetzt? An einem Samstagabend findet man sich ein und sieht Claudia (ja, „die Claudia“) auf das Entspannteste auf einer gepolsterten Bank sitzen, im Gespräch mit politischen Freunden aus Irland und Österreich, ganz und gar bei sich.

Das „Jolesch“ ist ein österreichisch inspiriertes Speisehaus, das alle Kreuzberger mit mehr als Hartz-IV-Geld der Not enthebt, fahren zu müssen, um anständig zu essen. Farblich tannengrün und irgendwie leuchtend-beige gehalten, die Stühle schlicht, aber bequem, der Service von exquisitester Verbindlichkeit.

Man kann im „Jolesch“ frühstücken, fein und freundlich, man kann seinen Lunch zu sich nehmen, dieser aber gleich im Vier- oder Drei-Gänge-Style. Smart der Hinweis in der Speisekarte: „Wir bitten Sie, ab 4 Personen ein einheitliches Menü zu wählen.“ Was wie eine Bevormundung klingt, wie ein Zwang zum Konsens, ist freilich nur eine Verbeugung vor der Kraft der Küche: Die will es Ihnen ja nur recht machen.

Wir entschieden uns schon zu zweit für ein Gericht, nämlich den Tafelspitz. Ochsenfleisch, in der Brühe gegart, gereicht mit Röstkartoffeln – ein Gedicht. Der Sud strotzend vor Kraft, das Fleisch zart und doch nicht labberig. Der Wein dazu, ein Blauer Zweigelt nach Empfehlung des Hauses, passte wunderbar – als hätten Ochse und Weinberg sich aufeinander abgestimmt.

Anderntags, Freunde berichteten es, kamen sie voller Neugier ins „Jolesch“, die Schwärmerei aber hatte sich gelohnt: Das Selleriepüree und die grünen Spargelspitzen zu Geschmortem vom Maishähnchen entsprachen ihren Wünschen nach bürgerlicher Küche, die sich nicht bürgerlich gibt: äußerst gelungen, hieß es. Besonders zu empfehlen, das darf als Wunsch bei der Reservierung (dringend nötig am Wochenende) gern gesagt werden, ist das geräucherte Schweinebäckchen auf einem Pilzsalat. Das ist natürlich ganz & gar unkoscher, aber die Freunde aus Haifa scherten sich nicht ums Religiöse: Fein gekrustet, sei es eine Reise ins Kreuzbergische wert.

Sieben Leute möchten nicht irren: Dieses Restaurant verdient „Streicheleinheiten“ (wie Peter Cornelius einst sang) – denn auch die Desserts wecken Begehrlichkeiten (Apfelstrudel!) nach Wiederholung.

JOLESCH, Muskauer Str. 1, 10997 Berlin, U-Bahn Görlitzer Bahnhof, Fon (0 30) 6 12 35 81, www.jolesch.de, Reservierungen telefonisch erbeten; Mo.–So., 10 bis 16 Uhr Frühstück, Mo.–Fr., 12 bis 17 Uhr Lunch, Abendkarte 18 bis 1 Uhr; Bierangebot: konventionell; Weine: Grüner Veltliner – das Haus kauft direkt ab Weingut. Leitungswasser auf Anfrage, sonst Vöslauer. Außerdem: Cateringservice, Feierlichkeiten