Erst zahlen, dann spenden

Der Verein Berliner Tafel sammelt in der Karwoche in 80 Supermärkten Lebensmittel, die Kunden zusätzlich gekauft haben. Erste Bilanz: Männer spenden selten. Der Verein klagt über zahlreiche „Trittbrettfahrer“, die in seinem Namen Essen sammeln

Von ANNA STARK

„Männer anzusprechen, lohnt sich kaum: Höchstens unter den 30- bis 50-Jährigen gibt es ein paar wenige, die etwas spenden“, sagt Sabine Werth. Sie weiß das aus Erfahrung: Die 48-Jährige ist die Vorsitzende der „Berliner Tafel“, eines Vereins, der überschüssige Lebensmittel in Geschäften, Hotels und Bäckereien einsammelt und an Bedürftige verteilt. Bis morgen Abend ist sie in 80 Supermärkten unterwegs, um die Aktion „Laib und Seele“ zu betreuen. Gemeinsam mit den Kirchen sollen unter dem Motto „Eins mehr“ so viele Lebensmittel wie möglich zusammenkommen. Jeder Kunde soll eine kleine Essensspende bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern des Vereins vor Ort abgeben. Die Lebensmittel werden anschließend in verschiedenen Kirchengemeinden verteilt. „Wir haben für die Sammelaktion ganz bewusst die Karwoche gewählt. Es gibt Elend, das nicht nur mit Geld zu ändern ist. Der Gedanke des Brot-Teilens ist uns sehr wichtig“, sagt Werth.

Im Kaiser’s an der Germaniastraße in Tempelhof ist gestern Morgen von der Aktion nichts zu bemerken – auf den ersten Blick zumindest. Etwas versteckt, in einer Ecke im Eingangsbereich, direkt neben der Pfandrückgabe, wartet Karin Wagner. In der Hand hält sie Flyer, neben ihr steht ein Einkaufswagen. Darin liegen die ersten Spenden: eine Ananas, ein Sack Möhren, zwei Packungen Ferrero-Küsschen, zwei Packungen Butter und ein bisschen Käse. Ab und zu verteilt sie schüchtern ein Informationsblatt. Ganz geheuer scheint ihr die ganze Situation nicht zu sein: „Ich habe so was vorher noch nie gemacht. Das ist mein erster Tag als Ehrenamtliche“, sagt sie. „Ich habe mich auf eine Annonce in der Zeitung gemeldet und dann einen Anruf bekommen, dass ich mich hier hinstellen soll.“ In Empfang genommen hat sie im Kaiser’s-Markt niemand. Karin Wagner ist 47 Jahre alt und arbeitslos. Sie möchte einfach helfen: „Zu Hause fällt mir doch bloß die Decke auf den Kopf“, sagt sie. Auch wenn die Spenden eher schleppend anlaufen, ist sie guter Hoffnung. „Hier gibt es viele Stammkunden, die Aktion muss sich eben erst noch rumsprechen.“ Plötzlich stürmt eine ältere Frau zum „Laib und Seele“-Wagen. Sie will mit ihr unter vier Augen reden. Sie habe von schwarzen Schafen gehört, die erst Spenden sammeln, um sie dann selbst zu behalten oder erneut zu verkaufen, flüstert sie.

Die Vereinsvorsitzende Sabine Werth weiß von diesem Problem. „Wir nehmen das sehr ernst und gehen dagegen vor. Es gibt zahlreiche Trittbrettfahrer, die unseren guten Namen missbrauchen.“ Auch in diesem Supermarkt sei ein gefälschter Brief eingetroffen. Im Namen der Berliner Tafel wurde um Lebensmittelspenden und die Vereinbarung eines Abholtermins gebeten. Der Absender des Briefs ist Sabine Werth unbekannt.

An diesem Morgen geben die Einkäufer nur wenig ab. Marianne Gauter ist eine Ausnahme. Sie bringt eine Portion Brokkoli. Die 62-Jährige war früher als Küsterin tätig und beteiligt sich gerne: „Viele Betroffene nutzen das Angebot der Berliner Tafel, weil die Essensausgabe da nicht entwürdigend ist.“ Jeder Berliner, der weniger als 900 Euro im Monat verdient, kann in einer der 15 Ausgabestellen für einen Euro essen. Zurzeit bekommen 15.000 Menschen dort täglich eine Mahlzeit, ein Viertel davon sind Kinder und Jugendliche.

Insgesamt hat Sabine Werth Recht behalten. Vor allem ältere Männer winken ab und sagen: „Für so was ist meine Frau zuständig.“ Jüngere nehmen den Flyer meist erst gar nicht an. Nur einer schmeißt im Vorbeigehen ein paar Tütensuppen neben den Möhrensack: „Das ist eigentlich die Aufgabe vom Staat, aber da kommt ja eh nichts.“

Alle Ausgabestellen der Berliner Tafel und die Supermärkte, in denen gesammelt wird, unter www.berliner-tafel.de