Botschaft von ganz oben

Weckruf für die Werbekreativen: Sie müssen aufpassen, dass sie sich bei aller Begeisterung über ihre originellen Ideen nicht ins Abseits manövrieren. Mehr Emotionen, weniger Zielgruppenkalkül

von STEFFEN GRIMBERG

Die kleine heile Welt der Werbung ist kaputt. Sagt niemand Geringeres als der Art Directors Club (ADC). „Die klassischen Sachen, die auch drüben in der Ausstellung hängen, sind eigentlich tot“, durften sich die zum alljährlichen Wettbewerb nebst Werbekonferenz ADC Visions in Berlin versammelten deutschen Kreativen anhören: „Das klingt hart. Ist aber so.“ Hunderte Werbespots, die ganzen Printanzeigen, die in einem Hangar des Flughafens Tempelhof versammelt sind – Schrott?

„Das offizielle Begräbnis findet statt. Fragt sich bloß, wann“, sagt Amir Kassei, in diesem Jahr konzeptionell für die Visions verantwortlich und im wahren Leben Kreativdirektor bei der Agentur DDB Berlin. Man sollte ihn ernst nehmen. Sehr ernst – seine Sachen hängen auch im Hangar. Kassei ist einer der Köpfe hinter der VW-Kampagne „Für Jungs, die damals schon Männer waren“, die bei den begehrten ADC-Trophäen abräumten: Gold für den Kinospot, Silber für die gedruckte Anzeige in gleich mehreren der zig ADC-Kategorien. Der ADC verleiht natürlich keine bloßen Preise. Sondern Nägel. Sargnägel?

Zum Glück ist in der Werbung ein Messias schnell zur Hand. Rory Sutherland hält die Messe. Der quirlige Brite ist oberster Kreativer beim internationalen Agenturen-Netzwerk OgilvyOne Worldwide. Seine Botschaft: Die Werbung hat noch eine Chance. Sie muss nur aus ihrer Selbstverliebtheit aufwachen und sich endlich wieder um den Kontext kümmern. Zu lange, sagt Sutherland, hat die Werbung nach einem großen, absoluten Standard gesucht, „platonisch definiert, was eine gute Anzeige ist. Kontext stört da nur.“

Dummerweise fällt dem Konsumenten so was auf. Die Werbe-Industrie gebe sich derweil noch immer brancheninternem Applaus und und Statusfragen hin – „und beschäftigt sich nicht genug mit dem wirtschaftlichen Erfolg ihrer Kampagnen“. Bestes Beispiel: Der iPod, die revolutionäre Musikmaschine aus der Apple-Familie, „hat einfach stattgefunden“ – fast ohne Werbung.

Sutherlands zweite Botschaft: Werbung funktioniert nur noch emotional. „Heute ist doch jedes Produkt gut. Die Chance, ein technisch schlechtes Auto zu kaufen, dagegen gleich null.“ Da macht es eben keinen Sinn mehr, mit Einzelinformationen zu werben. „Wir leben in einer Zeit der guten Produkte, aber mit schlechtem Service.“ Hier wird angesetzt: „Die kleine kitschige Vase im VW-Beetle trägt mehr zum Wert des ganzen Wagens bei als Motor, Technik und der ganze Krempel.“

Emotionale Werbung hat außerdem den grandiosen Vorteil, dass sie quasi altersunabhängig funktioniert. „Vergesst demografische Kriterien.“ Sie würgen Innovation ab und killen die Relevanz, sagt Sutherland. Nostalgie dagegen funktioniert immer. Deshalb wohl auch der Goldene Nagel für die „Jungs, die damals schon Männer waren“. Wie überhaupt das Nagelbrett 2005 sehr autolastig ist: Mercedes-Benz ist mit seinen stilisiert-abstrakten Kampagnen wie „Sound des Sommers“ ebenfalls mehrfach ganz vorne dabei. Was wiederum mit den in erster Linie aus jungen Männern besetzten und erstmals von den Mitgliedern gewählten Jurys zu tun haben dürfte. Aber das nur am Rande.

Und dann sind da noch die neuen Werbeformen. SMS zum Beispiel: Ein paar Buchstaben, die geschickt genutzt mehr Wirkung entfalten als große TV-Spots. Selbst eine der ältesten Firmen der Welt setzt darauf: „Come to my place on Sunday? – Gehen wir Sonntag zu mir?“, ist die SMS-Botschaft. Dass hört sich zwar plump an. Bis zum Absender: Da steht nur – Gott.

alle Preisträger: www.adc.de