Inneres Knirschen

Missglückte Familienfeiern, untergehende Schiffe: Jüngere asiatische Theatermacher auf Stippvisite beim „Find“-Festival in Berlin

VON SIMONE KAEMPF

Als Theaterautor ist Haruki Murakami eine deutsche Erfindung. Seine Protokolle des Giftgasanschlags in der Tokioter U-Bahn fanden hier – und nicht in Japan – den Weg auf die Bühnen. Angeblich habe es mal eine Inszenierung von „Untergrundkrieg“ auf einer kleinen japanischen Bühne gegeben, erzählt ein Japaner auf dem Festival Internationale Neue Dramatik, kurz „Find“, das am Sonntag in Berlin zu Ende ging. Aber, fügt er hinzu, das sei ihm auch nur erzählt worden. Von dem vertrauten Schriftsteller Murakami muss man sich also lösen, wenn man sich mit zeitgenössischer asiatischer Dramatik beschäftigt. Dafür gibt es andere Entdeckungen zu machen.

In „Frozen Beach“ des Tokioters Keralino Sandorovich werden die Aum-Sekte, das Erdbeben von Kobe, die geplatzte Immobilienblase in den Nebensätzen eines Teenager-Geplauders komödiantisch-beiläufig erwähnt – als Platzhalter für den kollektiven Willen zur Verdrängung. Hauptfiguren sind aber vier Studentinnen Anfang zwanzig in lauer Nachmittagsstimmung in einer Villa am Meer, und weil sie so sorgenlos wie von Langeweile getrieben sind, denken sie sich zum Beispiel ihre eigene Titanic-Besetzung aus. Nachmittagsgeplauder, das Thema wechselt wieder. Schulerlebnisse, die Familie, auf skurrile Weise kommt es zu einem Mord. Very strange das ganze. Aber wenn man sich ein paar Windstärken dazudenkt, die Insel, auf der die Villa steht, größer macht, den Horizont des Stücks ausweitet, öffnet sich ein sehr ergiebiges Japanbild: ein untergehendes Schiff, auf dem man Aristokratie spielt. Stagnation bis zum Gehtnichtmehr.

Es hat sich einiges verändert seit Ende der Neunzigerjahre in Japan, China und dem Tigerstaat Singapur. Und das ist, wovon der asiatische Schwerpunkt auf dem fünften „Find“ erzählen will. Nach Stücken aus Amerika, Argentinien oder Australien kartiert man jetzt die Landkarte in Richtung Asien mit fünf Stücken jüngerer Theatermacher. Ganz sicher ist, dass diese Generation internationalen Trends aufgeschlossen ist, dass sie Genres mixt wie Matsuo Suzuki, der seine frühere Tätigkeit als Comiczeichner deutlich in die Dramaturgie seines Stücks „Das Maschinentagebuch“ einfließen lässt. Es liegt viel Ernst in den an der Schaubühne präsentierten Stücken, viel Verrätselung in den Stilisierungen und Formsprachen, was daran liegt, dass man Tabuthemen verfremdet oder im Fall China die Texte dem staatlichen Kulturbüro vorlegen muss.

Unterm Strich ist die Botschaft ziemlich klar, die der Chinese Yang Qian mit seinem Stück „Hope“ aus seinem Wohnort, der Sonderwirtschaftszone Schenzhen, mitbringt. China befindet sich im Umbruch, und daran reiben sich die Bewohner bis zur Selbstaufgabe. Dann verästeln sich die Motive und Figuren mit Bezügen zur chinesischen Gegenwart, denen Regisseur Andreas Kebelmann in seiner szenischen Lesung die Ratlosigkeit einer missglückten Familienfeier entgegensetzt. Was bleibt, ist die Verlorenheit von Menschen, für die die großen Abstraktionen ihre Bedeutung endgültig eingebüßt haben.

Rein formal ist „Hope“ schwere Kost fürs Theater. Die chinesische Ästhetik mit ihrem eigenen Empfinden von Zeit und Raum, wie man sie aus Filmen kennt, macht die Handlung quasi undurchschaubar, auch wenn das Stück durchaus als Kommentar zur Gegenwart verstehbar bleibt.

Die nachhaltigsten Eindrücke der asiatischen Stippvisite nimmt man von Texten des 27 Jahre alten Singapurers Alfian Bin Sa’at mit. Die drei Szenen aus „Optische Trilogie“ sind moderner, schärfer und wesentlich frischer als so mancher europäischer Versuch, das innere Knirschen urbaner Paarbildung zu beschreiben.

Man meets woman in drei Varianten. In der Nacht bevor sie ins Ausland auswandert, bestellt sich eine Frau einen Callboy aufs Zimmer. Ein Gespräch entsteht, in dem sich die unterdrückten Begierden sprachlich ausbreiten. Vergeblichkeit entwickelt sich auch aus den Dialogen, wenn ein Fotograf ein blindes Model zum Foto-Shooting empfängt und ihr seine Liebe gesteht. Der Sprache kann man bei der vergeblichen Arbeit nach Nähe zusehen, und sich in der cleanen Stimmung nicht nur in Singapur zu Hause fühlen.

Von vereinzelten Großstadtbewohnern erzählt der japanische Schauspieler Issey Ogata in seinem Gastspiel „Katalog des Großstadtlebens“ dagegen viel körperlicher und mit drastischem Witz. Der Vater, der in einer Karaoke-Bar von der Kündigung seines Sohnes erfährt, oder der Angestellte, der in einem mit ähnlichen weißen Autotypen überfüllten Parkhaus auch die eigene Identität zu verwechseln beginnt. Ogata schlüpft in seiner One-Man-Show in skurrile Alltagstypen, die längst drüber sind. Das hat zugleich etwas sehr Tragikomisches und Trauriges, aber treue japanische Fans saßen im Publikum, die im Kichern eine erstaunliche Hartnäckigkeit an den Tag legten.