Unterwegs nach Istanbul – Schiffbruch in Berlin

BERLIN–ISTANBUL Fotoinstallationen in der Dresdener Straße – die Fotografin Ute Langkafel holt zentrale Orte des Nord-Süd-Transits nach Kreuzberg 36

An der bulgarisch-türkischen Grenze liegt der Übergang Kapikule, an dem man in der Hochsaison bis zu acht Stunden in brüllender Hitze auf die aufwendigen Pass- und Gepäckkontrollen zu warten hat. Aber auf dem großformatigen Foto, das wie ein unbeschriftetes Gewerbeschild über einem Laden an der Dresdener Straße in Kreuzberg hängt, liegt er menschenleer unter einem rosafarbenen Himmel. Entlang der Straße aufgebaute Laternen biegen ihre Arme nach rechts und links wie ein starres Ballett. Und ganz hinten, weit hinter den verlassenen Kontrollpunkten, ragen Moscheetürme in die Luft: Es ist die achte Station der Ausstellung „Berlin Transit Istanbul und zurück“, die die Fotografin Ute Langkafel in 20 Fotoarbeiten an der Dresdener Straße installiert hat.

Neuralgische Punkte

Langkafel hat neuralgische Punkte der Strecke, die seit der ersten Einwanderungsgeneration mit dem Auto befahren und in letzter Zeit wegen steigender Flugpreise zwangsweise wiederentdeckt wurde, in ihren durch eine bewusste Gelbstichigkeit warmfarbigen, querformatigen Riesenbildern festgehalten.

Sie hat Transitorte in Tschechien, Montenegro oder Griechenland bereist, die auf den Mammutfahrten üblicherweise Autobahnschilderaufschriften bleiben, und sie ins Zentrum von Kreuzberg 36 geholt, in dem 72 Prozent der Bevölkerung aus fremden Ländern kommen: ein leerer Fußballplatz in der wilden Berglandschaft zwischen Ploce, einer Hafenstadt in Kroatien, und Kotor in Montenegro. Weiße, netzlose Tore, ein Gebirgsbach in Mostar, der unter einer wunderschönen, zwei Ufer und damit zwei Welten verbindenden Brücke verschwindet.

Wie schmuck sich die Stationen in den Straßenzug zwischen Heinrichplatz und dem Durchgang zum Kottbusser Tor einfügen, aus unbenannten Ladengeschäften Kunstwerke machen und mit einem „Café Harar“, dem „Babylon Kino“, einem Computerladen und dem Stadtteilbüro der Grünen kongenial zu kommunizieren scheinen, ist berückend.

Die älteren MigrantInnen kennen sie als Orte, die sie auf dem Weg ins fremde Gastarbeiterland Deutschland passierten. Die jüngeren der zweiten und dritten Generation fahren in anderer Richtung, auf der Ferienreise zur Familie in die alte Heimat, daran vorbei. Langkafel beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und verkauft Abzüge ihrer Motive in ihrer an der Dresdener Straße gelegenen Galerie „MAI.FOTO“, hat auch für Berlin eine substanzreiche, bildliche Aussage gefunden.

Schiffswrack Dr. Wengler

Das Schiffswrack „Dr. Ingrid Wengler“ liegt halb versunken vor den Treptowers. Seinen Namen erhielt der Frachter nach der tödlich verunglückten Frau des ehemaligen Besitzers. Auf Langkafels Foto lugt es etwas verloren quer aus der schaumigen Spree. Hinten erahnt man den Fernsehturm, vorn die Oberbaumbrücke, rechts und links Häuserfronten und Kräne.

Der Start- und Zielpunkt der Reise ist ein marodes Symbol für das „Unterwegs Sein“ an sich. Zwar ist man in Berlin angekommen, doch die Wasserstraßen könnten einen gleich wieder hinausführen. Wenn man hier nur keinen Schiffbruch erlitten hätte. JENNI ZYLKA

■ Infos: www. ballhausnaunynstrasse.de