Seelsorge für Bürgerrechte

SPD-Bundesinnenminister Otto Schily bringt die Kirchen gegen sich auf: Dessen Pläne zur längeren Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten verletzten „grundlegende Bürgerrechte“

VON ANDREAS WYPUTTA

Werner Korsten, stellvertretender Vorsitzender der evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge, klingt besorgt. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) untergrabe mit seinen Plänen, die Verbindungsdaten von Telefongesprächen und SMS-Botschaften bis zu einem Jahr zu speichern, die Arbeitsgrundlage der kirchlichen Nothelfer: „Gerade in der Telefonseelsorge kommt es darauf an, dass Menschen in geschützten Kommunikationsräumen ihre Sorgen und Nöte äußern können“, sagt der Pfarrer.

Schilys Vorstoß gefährde nicht nur „die seelsorgerliche Verschwiegenheit und das Beichtgeheimnis“. Er könne zwar nachvollziehen, dass die Sicherheitsdienste möglichst viele Daten speichern möchten, so Korsten – allerdings stehe die Sammlungswut in keinem Verhältnis zur Gefährdung grundlegender Bürgerrechte.

Das sehen Grüne und FDP genauso. Die „milliardenfache Speicherung grundgesetzgeschützter Daten“ sei schlicht zu teuer, die Auswertung werde enorme Kosten verursachen, warnt Monika Düker, innenpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion. Auch die nordrhein-westfälischen Liberalen besinnen sich auf ihre Tradition als Bürgerrechtspartei, warnen vor einem „Generalangriff auf die Bürger- und Freiheitsrechte“. CDU und SPD im Düsseldorfer Landtag stützen dagegen Schilys Vorstoß: Theo Kruse, Innenexperte der Union, lobt die Schnüffelei am Telefon als „besonders wichtiges Instrument zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus“, und NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) klagt, die bisher mögliche Speicherung der Verbindungsdaten von bis zu sechs Monaten sei zu kurz, um Kommunikations- und Finanzierungswege von Terrororganisationen aufzudecken.

Doch auf dem Weg zur größtmöglichen inneren Sicherheit bleibt der Datenschutz auf der Strecke. Hatte in den achtziger Jahren die vergleichsweise Volkszählung für Aufregung gesorgt, scheint vielen Bürgerinnen und Bürgern die informationelle Selbstbestimmung heute egal: Für geringen Rabatt werden über Kundenkarten Verbraucherprofile ermöglicht, die einen genauen Einblick über die Konsumgewohnheiten geben – persönliche Daten wie Alter und Adresse inklusive. Auch gegen die DNA-Analyse als Routineinstrument der Polizei gab es kaum Widerstand, und auch der verstärkte Einsatz so genannter RFID-Funkchips, mit denen Produkte noch nach Jahren geortet und einem bestimmter Käufer zugeordnet werden können, wird beinahe ausschließlich in Fachkreisen diskutiert.

Dabei spiele gerade in der Privatwirtschaft der Einsatz persönlicher Daten eine immer größere Rolle, klagt die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Bettina Sokol. So sei bereits eine CD vertrieben worden, die für sämtliche Adressen in Deutschland Kaufkraft und Einkommensverhältnisse bewertete. Der Werbeslogan „Wollen Sie wissen, was ihr Nachbar verdient“ stimmte – in kleinen Straßen waren die Angaben so konkret, dass es sich um einen klaren Datenschutzverstoß handelte.

Umso heftiger kritisiert Sokol Schilys Verstoß: Die längere Speicherung der Telefondaten sei „nicht gesetzeskonform“, sagt die Datenschutzbeauftragte des Landes. „Verbindungsdaten dürfen nur gespeichert werden, wie sie zu Abrechnungszwecken benötigt werden. Eine generelle Speicherung über diesen Zeitraum hinaus wäre ein Verstoß gegen geltendes Recht.“

Außerdem verstoße Schily gegen Parlamentsbeschlüsse, warnt Sokol. „Nach dem erklärten Willen des Bundestages soll es keine Vorratspeicherung von Verbindungsdaten geben.“ Die nationale werde gegen die europäische Ebene ausgespielt: „Es ist erstaunlich, dass Teile der Bundesregierung auf europäischer Ebene eine solche Speicherung offensichtlich befürworten.“