Wie man Ostfriesland lieben kann

Zwischen Emsmündung und Jadebusen erstreckt sich eine rätselhafte Gegend: Der Westzipfel Niedersachsens heißt Ostfriesland – und es bedarf eines Überzeugungstäters wie taz-Autor Thomas Schumacher, um ihm gerecht zu werden

Ein bisschen Ehrfurcht, bitte. Hier geht es um eine Herzensangelegenheit: Thomas Schumacher ist, obwohl aus dem Rheinland stammend, Ostfriese aus Überzeugung. Über die zarten Anfänge der Skater-Szene in Leer hat Schumacher geschrieben, über den Werder-Bremen-Fan-Club in Moordorf, über den Bau des Emssperrwerks. Immer in der taz.

Jetzt hat er ein Buch verfasst. Es trägt den leider bereits etwas abgenutzten Titel „Ostfriesland und seine Inseln“. Dort stellt Schumacher die berechtigte Frage, warum bloß Menschen an einem Land Gefallen finden, „das von Überflutung bedroht, durch Moore unwegsam und unfruchtbar und an anderer Stelle wieder karg und trocken ist“. Eine Antwort gibt er nicht: Vielleicht, weil es ihm zu unbescheiden vorkäme, über die Motivlage der prähistorischen Erstbesiedler zu spekulieren. Vielleicht aber auch, weil Ottmar Heinzes Fotografien ein emotionales, aber doch ziemlich überzeugendes Argument liefern. Zu sehen sind: schnuckelige weiße Schäfchen auf grünem Deich, gelbblühendes Rapsfeld vor strahlendem Himmels-Blau, Windmühlen in berückendem Gegenlicht, Raureif auf Moorpflanzen. Ist also ziemlich schön, da oben.

Manchmal zu schön, um wahr zu sein: Die Bildauswahl geht auch dort, wo eine herbe Pointe angebracht wäre, kein Risiko ein. Windkraftanlagen? Pfui, so etwas zeigt man nicht. Ebenso wenig wie den Sous-Turm von Aurich: Dabei steht die heiß umstrittene Schrott-Skulptur unübersehbar auf dem Marktplatz, den der Text als „hypermoderne Marmor-Granit-Anlage“ skizziert. Dafür wird der potthässliche Backsteinbau der Ostfriesischen Landschaft gedruckt. Der ist halt 100 Jahre älter. Und Nostalgie verklärt.

Irgendwann ist das Genre Reisereportage, in seinen Anfängen Keimzelle kritischer Publizistik, degeneriert. Schumacher ist zwar über beide Ohren in Ostfriesland verschossen. Aber blind ist er deshalb nicht. Dafür ist er zu sehr Journalist, und außerdem: Ihm tut das richtig weh, dass man auf Norderney „Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker“ eine Plastik Heinrich Heines hat aufstellen lassen, und zwar ausgerechnet auf dem Platz, auf dem die jüdischen Insulaner zur Deportation zusammengetrieben wurden. Deshalb schreibt er’s auf. Und er erklärt wie das nun wirklich funktioniert, mit dem Wattenmeer, wieso die Insel Memmert wandert und weshalb sich am Meeresboden feste Sandbänke bilden – oder eben Schlickwatt: „Hier kann der Mensch nicht eingreifen“, stellt Schumacher fest. Sehr informativ, sehr sachlich. Und doch, obwohl ihm nichts Friesisches fremd ist, mit staunender Ehrfurcht. bes

Ottmar Heinze / Thomas Schumacher: Ostfriesland und seine Inseln, Ellert & Richter, 196 Seiten, 14,95 Euro