Mehr Gewalt, weniger Geld

„Weißer Ring“ setzt sich für Erhalt der „Rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt“ ein und fordert, Geldstrafen für Opferschutz zu verwenden

Wolfgang Sielaff kennt die Perspektiven von Tätern und Opfern: Als früherer Leiter des Landeskriminalamtes hat er Verbrechen aufgeklärt, als Landesbeauftragter der Opferschutzorganisation Weißer Ring versucht er nun, die Opfer bei der Bewältigung der Folgen zu unterstützen. Deshalb weiß er, dass es für die Bekämpfung der Kriminalität in Hamburg „eine Katastrophe“ wäre, wenn die „Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt“ tatsächlich ihre Arbeit einstellen müsste: „Die Gewalt in der Gesellschaft nimmt zu“, sagte er gestern bei der Jahresbilanz des Weißen Ring Hamburg. „Für die Stadt und die Kriminalitätsopfer wäre es schlecht, wenn die bundesweit einmalige Untersuchungsstelle geschlossen würde.“ Die muss wahrscheinlich zum April ihre Arbeit einstellen, weil der Senat die finanzielle Unterstützung gekürzt hat.

Der Weiße Ring hat im vorigen Jahr 1.035 Männer und Frauen betreut, die eine Gewalttat, einen Einbruch oder eine andere Straftat erleben mussten. 77 Prozent derjenigen, die Hilfe gesucht haben, sind Frauen und Mädchen – nicht nur, weil sie eher Hilfe in Anspruch nehmen, sondern weil Frauen sehr viel häufiger Opfer von Gewalt sind als Männer. Das hat sich im vergangenen Jahr vor allem bei Gewalttaten im eigenen Haus oder Umfeld sowie beim Stalking gezeigt. Rund die Hälfte aller Körperverletzungsdelikte, deretwegen sich Frauen oder Männer beim Weißen Ring gemeldet haben, stammen aus diesem Bereich.

Die Kriminalitätsopfer sind überwiegend zwischen 20 und 40 Jahre alt. Jüngere und auch alte Menschen werden seltener zum Tatopfer. „Alte sind besonders furchtsam“, sagte Sielaff gestern, „ihre subjektive Angst ist aber nicht in den Kriminalitätszahlen begründet.“

Die durchweg ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Weißen Ring bieten den Opfern zunächst schlicht ein offenes Ohr, wenn diese das Bedürfnis haben, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Daneben helfen sie bei Behördengängen und der Bewältigung von Formalitäten, vermitteln RechtsanwältInnen und TherapeutInnen und finanzieren diese bei Bedarf. Dafür ist der Weiße Ring selbst auf Hilfe angewiesen: Der Etat der Opferschutzorganisation setzt sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden zusammen.

Sielaff sprach sich dafür aus, dass zumindest ein Teil der durch Geldstrafen eingetriebenen Mittel in die Opferhilfe zurückfließen sollte. Das aber ist vom CDU-Senat kaum zu erwarten: Bisher wurden zumindest Bußgelder teilweise der Opferhilfe zur Verfügung gestellt.

Die Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle aber ist in Gefahr, weil die Stadt mit diesen Einnahmen nun lieber ihr Haushaltsloch stopfen will.

ELKE SPANNER