Mit dem Daimler in die Uni

Studenten gehen auf Firmen zu, um die Budgets ihrer Gremien aufzustocken. Studentenräte aus ganz Europa haben in Luxemburg beraten, woher mehr Geld für die Unis kommt. Gebühren lehnen sie ab

AUS LUXEMBURG ANNA LEHMANN

In Luxemburg pflegt man eine ungezwungene Beziehung zum Geld. Die Studenten machen keine Ausnahme. An der Wand des Clubraums hängt Che Guevara. Doch die Studentenvertreter kutschieren ihre Gäste in einer großräumigen Limousine – gesponsert von DaimlerChrysler.

Diesen und andere Sponsoren haben die beiden luxemburgischen Studentenorganisationen extra für das Treffen europäischer Studentenvertreter aufgetan. Sie sind schließlich Gastgeber der neunten Mitgliederversammlung des Dachverbands der Studierendenschaften, Esib. Die Delegierten und Referenten reisen aus ganz Europa an und müssen von Bahnhof und Flugplatz abgeholt werden.

Wenige Tage bevor die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zu ihrem Frühjahrsgipfel einfliegen, haben sich die Studentenfunktionäre am Wochenende darüber ausgetauscht, mit welchen Mitteln und Argumenten mehr Geld für höhere Bildung aufzutreiben sei. Der junge Campus des Finanzplatzes Luxemburg bietet dafür die geeignete Basis.

Die Esib repräsentiert nach eigenen Angaben 11 Millionen Studierende aus 36 Ländern. Doch außer den 100 Delegierten kennt kaum ein Hochschüler die Dachorganisation, obwohl es sie seit 23 Jahren gibt.

„Wir sind nicht sehr bekannt, dazu haben wir zu wenig Ressourcen“, gibt Karin Brügge zu. Sie hat eine der zwei Stellen bei Esib. Die Berufsstudentin ist Schwedin, lebt in Brüssel, wechselt mühelos zwischen Englisch, Französisch und Deutsch und ist stets gut gelaunt und organisiert.

In Schweden, dem europäischen Mekka der Wissensgesellschaft, ist Hochschulpolitik fast langweilig, da die Gegenseite so wohlwollend ist. Die Kommilitonen bekommen pro Monat 300 Euro vom Staat, können zusätzlich Darlehen aufnehmen und müssen keine Studiengebühren bezahlen. Der schwedische Staat betrachtet seine Kinder ab dem 18. Lebensjahr als voll mündige Erwachsene, die für sich selbst sorgen können. „Ich musste noch nie das Einkommen meiner Eltern angeben“, sagt Brügge. Für sich selbst verantwortlich zu sein, heißt für die Schweden aber auch, neben dem Studium zu arbeiten und Schulden zu machen, um die horrenden Lebenshaltungskosten zu decken. Brügges Kollege Thomas Nilsson, der ebenfalls für Esib arbeitet, stottert noch immer die 45.000 Euro Schulden seiner Studienzeit ab. „Aber es ist natürlich schwer, für bessere Bedingungen zu kämpfen, wenn die vergleichsweise gut sind“, sagt Brügge.

Er sei privilegiert, weiß auch Matko Kuzmanic. Klar, die Bedingungen an seiner Hochschule in Split (Kroatien) sind nicht ideal, es kommt schon mal vor, dass der Professor die Studenten drei Tage hinhält und nicht zur Prüfung erscheint. Auch die 500 Euro Studiengebühren kann er nur aufbringen, weil er nachts als Wächter arbeitet. Aber immerhin, er gehört zur schmalen Schicht der Kroaten, die in den Genuss höherer Bildung kommen. Eine Schande sei es, dass sein Land nur sieben Prozent Akademiker ausbilde. Leute, die nicht studiert hätten, interessierten sich entweder nur für Fußball oder fielen auf die Nationalisten rein. „Ich will etwas für meine Leute tun“, sagt Kuzmanic und meint damit Arbeiter, wie sich selbst. Die Studentenunion kämpft für kostenlose Hochschulbildung und ausreichend Stipendien. Aber dazu brauche man politische Verbündete, erklärt er und streicht sich bedeutsam den struppigen Kinnbart. „Im Mai lasse ich mich in den Stadtrat wählen“, sagt Kuzmanic leise.

In Litauen wechselt fast jeder Schüler an eine Hochschule. Die ersten drei Jahre sind kostenlos. „Aber ein Drittel der Studenten zahlt Geld“, regt sich Slava Palkevicius auf. Was den 24-jährigen Präsidenten der litauischen Studentenorganisation mehr als alles andere beschäftigt, ist die Korruption an den Unis. Die litauische Studentenunion hat in einer Studie festgestellt, dass offenbar 30 Prozent der Mitglieder ihre Zensuren kaufen. „Die Professoren verdienen wenig und müssen auch noch ihre Familien durchbringen“, versucht Palkevicius das Phänomen zu ergründen.

Trotz unterschiedlicher Umstände und Probleme sind sich die Studentenvertreter vom Bosporus bis nach Skandinavien in einer Frage ziemlich einig: Studiengebühren sind als Geldquelle für ihre latent oder akut unterfinanzierten Hochschulen abzulehnen. Ein Widerwille, der in prinzipiellem Misstrauen wurzeln kann, wie es die Skandinavier pflegen. Oder aus enttäuschten Erwartungen herrührt, wie in Ländern, wo Studiengebühren gang und gäbe sind.

Der Niederländer Nikki Heerens findet die Argumente, mit denen im Königreich vor 20 Jahren Gebühren eingeführt worden sind, immer noch schlüssig. Auf die Wünsche der Studierenden sollten die Unis eingehen und ihre eigene Marktfähigkeit verbessern. Doch mittlerweile sind die Beiträge von 50 auf 1500 Euro pro Jahr gestiegen, ohne dass die Teilhabe der Studierenden in gleichem Maße anzog. „Es ist schwierig, die Kontrolle zu behalten, wenn die Gebühren erst einmal da sind. Normalerweise geht es dann nur noch in eine Richtung – in die Höhe“, sagt Heerens und schaut von seinem Laptop auf.

Auch den eingeladenen Rednern gegenüber bleiben die Studentenvertreter misstrauisch. Auf 150 Milliarden Euro beziffert Guy Haug, von der Abteilung lebenslanges Lernen der EU-Kommission, die Kluft, die zwischen den staatlichen Gesamtausgaben für Hochschulen in Europa und Amerika klafft. Angesichts dieser Summe müssten die Europäer sich dringend nach alternativen Geldquellen umtun. Haug warnt davor, freie Hochschulbildung mit gleichem Zugang für alle in eins zu setzen.

Die OECD-Mitarbeiterin Keiko Momii berichtet von einer kürzlich eingesetzten Kommission innerhalb der Organisation für Zusammenarbeit, die dringend zur Einführung von Studiengebühren rate. Und präsentiert Statistiken, die das überdurchschnittliche Einkommen der Akademiker widerspiegeln. Der ehemalige Präsident der Universität Oldenburg, Michael Daxner, ein umtriebiger Altlinker und Bildungsbürger, hat schon vor 20 Jahren für eine Akademikerabgabe geworben und hält sie immer noch für das sozial gerechteste Modell. Doch von speziellen Akademikersteuern wollen die Studis nichts wissen. Später müssten sie doch eh höhere Steuern zahlen, mit einer Abgabe würden sie doppelt geschröpft.

Für eine schnöde Kundenmentalität an den Unis haben sie wenig übrig, dagegen erscheint es durchaus reizvoll, auf die Anbieterseite zu wechseln.

Die maltesischen Studentenvertreter finanzieren sich bereits ausschließlich aus privaten Töpfen und betätigen sich als Unternehmensberater. „Unsere Sponsoren sind zum Beispiel Vodafone oder Hewlett Packard“, erzählt Anthony Camilleri. Vodafone betreibt einen Laden in der Uni, stellt Studenten an und bezahlt die Gehälter. Zusätzlich bekommt der Studentenrat 100.000 Euro pro Jahr. „Dafür helfen wir ihnen, ihre Produkte auf die Studenten zuzuschneiden, denn wir wissen am besten, was Studenten brauchen“, berichtet der schmächtige Camilleri. Damit seien alle zufrieden. „Denn wir verkaufen schließlich keinen Schrott.“

Camilleri hat auch die kühne Idee, dass die Hochschulen doch einfach selbst Bank spielen sollten, ihr eigenes Risikokapital einwerben und somit Forschung finanzieren könnten. Die Kommilitonen schauen ratlos. Sie als Finanzhaie? Die Campusbank steht als Gedanke im Raum und keiner geht auf die Barrikaden. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Luxemburg sind, wo Banken keinen stören.