„Jeder träumt vom Amt des Präsidenten“

Im südkirgisischen Osch hat sich die Lage nach der Machtübernahme durch die Opposition normalisiert. Staatschef Askar Akajew schließt die Verhängung eines Notstandes aus. Derweil bereitet die Opposition einen Marsch auf die Hauptstadt vor

AUS OSCH MARCUS BENSMANN

Die kirgisische Regierung wird keine Gewalt gegen die Opposition im Süden einsetzen, die die Kontrolle über die Stadt Osch übernommen hat. „Zu solchen Maßnahmen werden wir nie greifen“, sagte Präsident Askar Akajew und schloss die Verhängung eines Staatsnotstandes aus. Akajew bot der Opposition erneut Gespräche an, erklärte die Parlamentswahlen aber weitgehend für gültig. Nur in sechs Wahlkreisen würden die Ergebnisse auf Fälschungen überprüft.

Der Pressesprecher des Präsidenten bezeichnete die Oppositionsanhänger im Süden als Mob und warnte davor, dass die Oppositionsführer keine Kontrolle über die Demonstranten hätten. Gestern Nachmittag wurden ebenfalls Demonstrationen in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek erwartet.

In den Straßen von Osch normalisiert sich derweil das Leben. Nachdem in der Nacht einige betrunkene Jugendliche randalierend durch die Stadt zogen, ist die Lage am Tage wieder unter Kontrolle der neuen Verwaltung. Einige Geschäfte und Restaurants haben wieder geöffnet, jedoch ist kaum ein Polizist in Uniform zu sehen. Die nahe am Stadtrand von Osch verlaufende Grenze zu Usbekistan hat die usbekische Regierung eiligst geschlossen. Der revolutionäre Virus darf auf keinen Fall in den usbekischen Teil des Ferghanabeckens überspringen. Am Lenindenkmal in Osch parken vier verrostete Busse sowjetischer Herstellung. Aus den Bergen kommen immer wieder Bergbauern in die Metropole am Ausgang des Ferghanatals, um den Sieg ihrer Anführer zu feiern.

Diese sitzen ermüdet in den Amtsstuben und versuchen das Leben in der Stadt zu normalisieren. Der eine trifft sich mit Vertretern des Basars, um die Händler zu überzeugen, den Handel wieder aufzunehmen. Der andere überredet die Bankiers, dass die Geldhäuser in Sicherheit seien und wieder öffnen könnten. Da die Fernsehstation ebenfalls von der Opposition kontrolliert ist, laufen über den Sender spontane Diskussionsrunden.

Usbekische Aksakale, wie die ehrwürdigen bärtigen Männer in Zentralasien heißen, rufen über den Fernsehsender ihre Anhänger zur Besonnenheit auf. Ein ethnischer Konflikt soll verhindert werden. Der Flughafen ist weiter gesperrt. Tankwagen blockieren die Landebahn, um einen Anflug von kirgisischen Streitkräften zu verhindern.

Jugendliche aus Osch wollen aber an einer Wissensolympiade in der Hauptstadt teilnehmen. So einigt man sich doch schnell, und zwei Flugzeuge bringen die Jugendlichen nach Bischkek. Die städtische Bevölkerung reagiert wenig begeistert auf die neuen Herren. Zwar zeigt sich kein Unterstützer des Präsidenten, aber Unruhen und Unsicherheit passen nicht zu dem merkantilen Treiben der Einwohner von Osch.

Die Opposition bereitet den nächsten Schritt vor. 10.000 Anhänger sollen über die 3.000 Meter hohe Passstraße mit Bussen und Lastwagen in die 700 Kilometer nördlich gelegene kirgisische Hauptstadt gebracht werden. An dem Gouverneursgebäude werden Listen verteilt, in die sich die Reisewilligen eintragen können. „Wir werden sehen, dass nur geeignete Männer und Frauen mitkommen“, sagt Doischon Tschotonow, der einen Tag zuvor den Demonstrationszug durch die Straßen Oschs geführt hat.

Der Revolutionär beklagt die Uneinigkeit der Opposition. „Nach dem Sieg in Osch träumt jeder davon, Präsident zu werden“, klagt Tschotonow. „Das Volk scheint weiter zu sein als seine Führer.“ Der ehemalige Parlamentsabgeordnete schließt aber Verhandlungen mit dem Präsidenten nicht aus. Derweil teilt im Nebenzimmer der neue Gouverneur Anwar Artikow Journalisten gerade mit, dass die Tür für Verhandlungen mit Akajew geschlossen sei.