Ein Podium für Geiselnehmer?

Das Transatlantische Institut in Brüssel ließ die Programme von drei arabischen Sendern untersuchen. Doch nicht alle halten die Studie für seriös

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Zum ersten Mal trafen sich vergangene Woche die Chefs der europäischen Fernseh-Aufsichtsbehörden bei der zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding in Brüssel. Es ging um Programme aus Drittstaaten, die zu Hass oder Diskriminierung von Andersdenkenden aufrufen und über europäische Satelliten ausgestrahlt werden. Derartige Inhalte verstoßen gegen die europäische Fernsehrichtlinie. Zuständig ist die Aufsichtsbehörde des Landes, in dem der Satellit betrieben wird – zum Beispiel Frankreich für Eutelsat, dessen libanesischer Sender al-Manar wegen Hisbollah-Propaganda in die Kritik geraten war.

Eutelsat hat al-Manar inzwischen gesperrt. Keinen Zugriff haben die europäischen Behörden aber auf den Satelliten Arabsat, der in den südlichen Ländern der EU empfangen werden kann. Deshalb machte Viviane Reding den zuständigen Rundfunkbehörden gestern ein Gesprächsangebot. Die umstrittenen Programme müssten diskutiert werden, unter anderem im Rahmen des Dialogs mit den nordafrikanischen Mittelmeeranrainern. In diplomatischer Verpackung droht die Kommission damit, finanzielle Hilfen zu kürzen, wenn sich ein Land taub stellt.

Hasssendungen, die zum Beispiel via Arabsat in Vorstadtwohnzimmer maghrebinischer Einwanderer gelangen, können aber nur dann diskutiert werden, wenn die Inhalte bei den EU-Aufsichtsbehörden bekannt sind. Wie schwierig die Einschätzung ist, zeigt eine Untersuchung, die das Transatlantische Institut in Brüssel pünktlich zu Viviane Redings Treffen mit den Medienkontrolleuren vorgelegt hat. Der saudi-arabische Sender Iqra, das in Teheran produzierte Programm von al-Alam und der bekannteste arabische Sender, al-Dschasira, wurden zwei Wochen lang beobachtet.

Al-Dschasira, der nach Schätzung des Dubaier Medieninstituts weltweit über 70 Millionen Zuschauer hat, strahlt unter anderem über Astra und Intelsat ab und fällt so in Luxemburger Verantwortung. Al-Alam sendet über Hot Bird, einen französischen Satelliten, und Iqra über den französischen Eutelsat. In der ersten Februarhälfte haben Journalisten der Pariser Online-Zeitung Proche-Orient die Inhalte dieser drei Programme aufgezeichnet, übersetzt und nach bestimmten Fragestellungen analysiert: Hass auf den Westen, Europa und Amerika, Umgang mit Frauen, Antisemitismus, Dschihad und Homosexualität.

Die Ergebnisse, die der Rechtsextremismusexperte Jean-Yves Camus zusammenfasste, sind auf den ersten Blick schockierend. Al Dschasira stelle die Besetzung des Iraks als Teil der jüdischen Weltverschwörung dar und biete Geiselnehmern ein Podium, die die Enthauptung ihrer Opfer rechtfertigen. Über den saudi-arabischen Sender Iqra schreibt Camus: „Iqra treibt die antiwestliche Paranoia bis zur Hysterie. Gott wird angerufen, den Muslimen den Sieg über die Ungläubigen zu gewähren, der Sender propagiert schlicht und einfach Dschihad.“

Noch schädlicher sei der vom Iran finanzierte Sender al-Alam. Frauen würden zu Propagandazwecken missbraucht, indem sie Gewalt gegen Frauen und Ehrenmorde als Bestandteil islamischer Kultur rechtfertigten. Geistliche Würdenträger erhielten ein Forum, um ihr Geschichtsbild zu propagieren. Das Medieninstitut in Dubai schätzt die Zuschauerzahl von al-Alam weltweit auf mehr als 40 Millionen. Bei brennenden Themen wie dem französischen Kopftuchstreit erhält die Brüsseler Redaktion hunderte von E-Mails täglich.

Cagla Aykac vom Brüsseler Institut für Europäische Studien hält die Inhaltsanalyse von Proche-Orient für wenig wissenschaftlich. Der Untersuchungszeitraum von zwei Wochen sei viel zu kurz. Man erfahre nichts über die Programmstruktur. „Die Studie suggeriert, da würde 24 Stunden nonstop antiamerikanische und antijüdische Propaganda verbreitet. Doch welcher Sendeanteil besteht aus Unterhaltung, Sport, Kultur?“ Zwischen dem politischen Standpunkt der Journalisten und dem der Anrufer werde kein Unterschied gemacht. Eine gründliche wissenschaftliche Analyse der arabischen Programme, die in Europa empfangen werden können, ist also überfällig.