Aus Kindern werden Künstler

Kulturelle Bildung erhält an offenen Ganztagsschulen mehr Bedeutung. Modellprojekte zeigen, wie Kinder in der Nachmittagsbetreuung an Literatur, Kunst und Musik herangeführt werden können. Kritiker: Gelder reichen nicht aus

VON ULLA JASPER

Kultur macht Schule – zumindest, wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht. Gemeinsam mit Kulturminister Michael Vesper (Grüne), will SPD-Schulministerin Ute Schäfer dafür sorgen, dass kulturelle Bildung einen größeren Stellenwert in Nordrhein-Westfalens Ganztagsschulen erhält. „In der Tat verbessern sich die Lernergebnisse von Kindern durch kulturelle Bildung“, so die Schulministerin.

„Nur in der Verknüpfung schulischen Lernens mit der Entwicklung künstlerischer und kultureller Kompetenz entsteht ein Klima, in dem Kultur gedeiht“, erklärten Schäfer und Vesper gemeinsam bei der Vorstellung verschiedener Kulturprojekte, die an Ganztagsschulen in NRW durchgeführt werden. Die Veränderung der Schullandschaft und der konsequente Ausbau der Ganztagsbetreuung seit 2003 machen dieses Umdenken in der Bildungs- und Kulturpolitik erforderlich: In der offenen Ganztagsschule kümmern sich nachmittags, nach der normalen Unterrichtszeit, ErzieherInnen und SozialpädagogInnen um die Betreuung der Kinder. Auf diese Weise rückt das, was bisher „außerschulisches Lernen“ genannt wurde, auf den Stundenplan der SchülerInnen.

Doch das Konzept der offenen Ganztagsschule stellt die Pädagogen auch vor eine neue Herausforderung: Unterrichtliche und außerunterrichtliche Angebote zu Musik und Kultur müssen miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt werden. Kritiker warnen deshalb davor, dass die offene Betreuung am Nachmittag zu wenig Bildung und zu viel „Kinderbetreuung“ ist: „Der Nachmittag darf nicht zum Erholungs- und Wellness-Angebot verkommen“, erklärt Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut. Schulministerin Schäfer hält trotzdem an ihrer Linie fest, den Schulen kein fertiges Konzept „überzustülpen“, sondern die Qualität durch Rahmenvereinbarungen zu sichern. Dabei soll gewährleistet werden, dass Kinder ihre Nachmittage auch in der Ganztagsschule individuell gestalten können: „Wichtig ist für eine kindgerechte Gestaltung des Schultags in der offenen Ganztagsschule ein Rhythmus, der neben den Angeboten zur Hausaufgabenhilfe, zur Förderung und zur Freizeitgestaltung auch genügend Raum für frei gestaltbare Zeiten lässt“, so die Schulministerin.

Wie ein erfolgreiches schulisches Kulturprojekt aussehen kann, zeigt das „Carla-Chamäleon-Nordstadt-Buch“. Dahinter verbirgt sich ein kulturpädagogisches Projekt für Kinder und Jugendliche aus der Dortmunder Nordstadt, einem Stadtteil, in dem fast 60.000 Menschen aus 100 Nationen leben. Gemeinsam mit Pädagogen des Kulturzentrums Keuning-Haus haben mehr als 300 Schüler von zehn beteiligten Ganztagsschulen während der Nachmittagsbetreuung Geschichten und Gedichte über ihr Alltagsleben geschrieben und mit Fotos und Bildern illustriert. Aus mehr als 500 Beiträgen hat eine Jury anschließend die besten ausgewählt und im „Carla-Chamäleon-Nordstadt-Buch“, das gerade erschienen ist, veröffentlicht.

Auch Filmkultur soll in der offenen Ganztagsbetreuung eine Rolle spielen, findet Kulturminister Vesper: „Kinder werden heute schon früh mit bewegten Bildern konfrontiert. Eine angemessene Filmerziehung und die kritische Auseinandersetzung mit den Medien sind daher wichtig.“ Die Filmothek der Jugend, die vom Kulturministerium gefördert wird, erarbeitet gemeinsam mit Pädagogen Konzepte, um die Medienkompetenz von Kindern zu stärken. Unter dem Motto „Filme erleben – Filme gestalten – Filme präsentieren“ sollen sie nicht nur einen bewussten Umgang mit dem Medium lernen, sondern anschließend auch die Möglichkeit erhalten, selber einen Film zu produzieren. Als Höhepunkt für die Nachwuchsfilmer winkt die Teilnahme am Trickboxx-Festival NRW, dem Festival für Kinderfilmer im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren.

Die Kritik von Kulturschaffenden, dass für eine wirkliche Ausweitung des Kulturangebots in Schulen von der Landesregierung nicht genug Geld bereit gestellt werde, konnte aber auch die Schulministerin nicht ganz von der Hand weisen. Mehr Geld für diese Projekte sei durchaus „wünschenswert“, so Schäfer.