gottschalk sagt
: Rassismus ganz ohne Tarnung

CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag

Seit ungefähr zwanzig Jahren versuchen Geschäftsleute und Politiker, aus den Ringen einen „Prachtboulevard“ zu machen, eine fixe Idee quasi, denn es klappt nicht. In den Achtzigern wurden die alten Platanen gefällt und der Kaiser-Wilhelm-Ring prachtboulevardmäßig mit einer Tiefgarage, schicken Laternen und einem Springbrunnen versehen.

Doch irgendwie blieben die flanierenden Damen in ihren Reifröcken und die Herren mit Gehstock und Zylinder, oder was man sich sonst so als Publikum für einen Prachtboulevard wünscht, zu Hause. Vielleicht ziehen Postfilialen und Diskotheken einfach die falschen Leute an. Jetzt hat man mal wieder Schuldige dafür benannt, dass sich der öde Traum von der Prachtmeile nicht erfüllt: Plastikstühle, Obdachlose, Billigläden, Fastfoodketten und Ausländer.

Plastikstühle, weil sie aus Plastik sind, Obdachlose, weil sie da sind, Fastfoodketten, weil die Leute gefälligst mit Messer und Gabel essen sollen („kulturell an Tischen“), wie OB Fritz Schramma im Express-Interview fordert, und Ausländer, weil sie mit Flyern und Kaugummis werfen, weil ja bekanntermaßen „viele aus ihren Herkunftsländern ein anderes Bewusstsein haben von Reinlichkeit und Sauberkeit und Ordnung“, wie Schramma im gleichen Interview zu berichten weiß. Ich las dieses Zitat am Freitag und warte seitdem auf den Sturm der Entrüstung, weil Oberbürgermeister von Millionenstädten ihren Rassismus normalerweise besser tarnen müssen. Aber nichts geschieht.

So bleibt es an mir hängen, dem labernden Lateinlehrer ganz kulturell zuzurufen: „Silentium, Herr Schramma.“ Ich habe nämlich neulich im Fernsehen gelernt: Silentium ist Lateinisch für ‚Halten Sie doch den Rand!‘.