„Es gibt schlimmere Menschen“

Eine Lebenswirklichkeit ohne große Chancen: Prozess gegen Mutter, die ihre fünf Kinder vernachlässigte. Behörden hatten Familie im Blick, interveniert haben sie erst spät

Mit 15 Jahren bekam sie ihr erstes Kind, in kurzem Abstand folgten zwei Zwillingspärchen. Zwei ihrer Kinder sind bereits blind geboren, die Übrigen von der gleichen Erbkrankheit bedroht. Von einem Vater ist gar nicht erst die Rede. Mit anderen Worten: Die familiäre Situation ist schwer. Das war auch den Hamburger Behörden bekannt. Trotzdem war es möglich, dass Dusica B. ihre Söhne und Töchter über vier Jahre erheblich vernachlässigte, bis ihr im Herbst 2003 das Sorgerecht entzogen wurde. Gestern stand die 32-jährige Mutter vor Gericht, Verletzung ihrer Fürsorgepflicht wirft die Anklage ihr unter anderem vor. Räumt sie das ein, so die Vereinbarung der Prozessbeteiligten, kommt sie mit einer Bewährungsstrafe davon.

Vor Gericht offenbarte sich eine Lebenswelt, in der alle Beteiligten von vornherein schlechte Startchancen bekamen. Die Roma-Familie hat über Jahre in einem abbruchreifen Haus in der City gewohnt, ehe sie eine andere Wohnung bekam. Die Kinder gingen nur unregelmäßig zur Schule, zwei bis drei Fehltage die Woche waren normal, so der Staatsanwalt. Die älteste Tochter wurde mit 13 Jahren verheiratet, ihr 16-jähriger Gatte fing kurz darauf ein Verhältnis mit ihrer jüngeren Schwester an. Alle Kinder, so die Anklage, waren ungepflegt und schlecht gekleidet, selbst im Winter liefen sie im T-Shirt und löcherigen Schuhen herum. Als Mitarbeiter des Jugendamtes die Familie einmal aufsuchten, saß ein kleines Kind im offenen Fenster im zweiten Stock, unbeaufsichtigt.

Offenbar hatten die Behörden über Jahre Kontakt zu Dusica B. Das Jugendamt hat sie laut Anklage beispielsweise aufgefordert, mit einem der Kinder zum Augenarzt zu gehen, um ein Fortschreiten der Erblindung aufzuhalten, nur: Die Mutter hat es nicht getan, und durchgesetzt hat das Amt sich nicht. Das aber, beteuerte ihr Rechtsanwalt Axel Max gestern, war die Vergangenheit. Seit 2003 waren die Kinder zwischenzeitlich in Jugendeinrichtungen untergebracht, heute leben sie wieder bei ihrer Mutter: „Die familiäre Situation hat sich gebessert.“ Um darüber die Kontrolle zu behalten, haben alle Kinder einen Amtsvormund.

Diese Behördenmitarbeiter werden nun als Zeugen vorgeladen. Sie sollen darüber berichten, wie das Leben der Familie sich entwickelt hat. Die Mutter beteuert, regelmäßigen Kontakt zu den Vormündern zu halten. Warum ihr Fall aber überhaupt öffentliche Beachtung findet, versteht sie nicht. „Ich habe doch niemanden umgebracht“, sagte sie. „Es gibt schlimmere Menschen als mich.“ ELKE SPANNER