herr tietz macht einen weiten einwurf
: La Ola auf Knopfdruck

Fritz Tietz über den Frühjahrsputz, die dabei gefundenen Chips unter dem Fernsehsofa – und jene im Fußball

FRITZ TIETZ ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Beim Putzen gestern – ist schließlich Frühling – habe ich nach Monaten mal wieder mein Fernsehsofa gelüftet. Folgende Dinge hatten sich unter die Polster dieses, nebenbei, I a spießigen, aber sehr kommoden und deshalb auch von den Töchtern gern genutzten, Möbels verkrümelt: Münzen im Gesamtwert von 1,22 Euro, mein lang vermisster Fahrradschlüssel, ein Kinderschlüpfer, verschiedene Playmobilteile, fünf Haarspangen, diverse Schlickersacheneinwickelpapiere, ein paar klebrige Lutscherstile, zwei Pez-Brausebonbons sowie eine steinharte Mettwurstscheibe. Von den üblichen Staubmäusen und dem überaus üppigen Krümelaufkommen ganz zu schweigen. Letzteres setzte sich übrigens zu etwa 30 Prozent aus Brot- und Kekskrumen, Salzstangenbruch, Apfelkernen, Nussschalentrümmern, Kinderpopeln und sonstigem, hier lieber nicht näher bezeichnetem Unrat zusammen. Den weitaus größten Teil des Bröselguts aber bildeten, ganz eindeutig, die Rudimente von Kartoffelchips.

Hat das mal einer untersucht? Wie viele Tonnen an Kartoffelchips jährlich unvertilgt unter Sofapolstern verschwinden? Hätte ich sämtliche Chipskrümel von meinem Couchgrund gekratzt, um sie in die leere Tüte zu füllen, die ich später unter dem Sofa hervorkehrte, sie wäre zu einem Zehntel wieder voll gewesen. Das klingt nach nicht viel. Aber auf sämtliche Sofas Deutschlands hochgerechnet käme da einiges zusammen.

Keine Frage: Kartoffelchips gehören zu den meistgeknabberten Fernsehsnacks, gelten deshalb aber auch als ein ernstes Problem, das insbesondere Kinderärzte, Ernährungsexperten und Fitnesspädadogen beschäftigt. Vor allem vor großen Sportereignissen müssen die Fachleute immer wieder auf die Unvereinbarkeit von übermäßigem Chipsgenuss und körperlichem Wohlbefinden hinweisen, wohl darum wissend, dass der fettige Krauschel gerade während des oft stundenlangen TV-Konsums von Olympischen Spielen oder Fußballturnieren verstärkt aus den Knistertüten gegrabbelt wird. Nicht umsonst erhöht die Chips röstende Industrie gerade zu WM- oder EM-Zeiten ihren Ausstoß um einiges. Die Folgen sind: noch dickere Kinder, verheerende Sodbrände und stimmungsdrückende Völlegefühle, um nur mal die harmloseren Konsequenzen zu nennen.

Die Auswirkungen durch einen ganz anderen Chipsmissbrauch dürften jedoch weitaus fataler für den Sport und besonders den Fußball sein. Denn nicht mehr nur in dessen Konsumenten sollen Chips rein, auch dessen Spielgerät und seine Akteure plant man jetzt damit zu füllen. Freilich nicht mit Kartoffelchips, wie allerdings ein Etikett auf besagter Tüte vermuten lässt, wonach deren Hersteller, der Salzbäcker Lorenz, offizieller Lieferant des DFB ist (wozu braucht der eigentlich einen Kartoffelchips-Lieferanten?). Nein, in Ball und Spieler will man jetzt diese kleinen Funkchips einpflanzen, die momentan in aller Munde sind. Die sollen die angeblich überforderten Schiedsrichter entlasten, indem sie bei strittigen Spielsituationen Entscheidungssicherheit bringen – so heißt es. Tatsächlich verfolgen die Chips-Entwickler viel weiter reichende Absichten. Längst arbeitet man an einem kompletten Ortungssystem, mit dem man sämtliche Positionsdaten von Ball und Spielern in Echtzeit gewinnen und auswerten kann. Vor allem das Fernsehen ist schwer an einem solcherart gläsernen Fußball interessiert.

Wo das endet, ist klar. Neben die Senderchips wird man kleine Empfänger in Ball und Spieler implantieren, dank denen man die so agieren lassen kann, wie das der jeweilige Fernsehrechteinhaber wünscht. Ein Spielmacher wird dann einen Spielverlauf nicht mehr auf’m Platz per Intuition, sondern von einem Regieraum aus per Joystick bestimmen. Längst werden dann auch die Fans auf den Rängen mit Funkships ausgestattet sein. Ein Knopfdruck genügt, und das ganze Stadion macht La Ola. Und ganz bestimmt wird es irgendwann auch einen Knopf geben, mittels dem man uns Fernsehzuschauern den gigantotütenweisen Verzehr von ekligem, aromaverstärktem Zeug befehlen kann.

Angesichts der immensen Chipsfragmentemenge in meinem Sofa könnte man annehmen, dass es so was längst gibt.